AMPERE 4.2020
Christopher Mennekes, geschäftsführender Gesellschafter der Mennekes Elektrotechnik GmbH & Co. KG
Wird über Welthandel diskutiert, denken die meisten Menschen an global agierende Konzerne. Doch offene Märkte sind auch für mittelständische Industriebetriebe besonders wichtig. Warum nicht Unabhängigkeit, sondern wohlbalancierte Abhängigkeiten das Ziel von Handelspolitik sein sollten, erläutert Christopher Mennekes, geschäftsführender Gesellschafter des Elektrounternehmens, das seinen Familiennamen trägt.
Ein sonniger Tag im südlichen Sauerland. Gepflegte Fachwerkhäuser in engen Tälern, der Wald reicht bis an den Ortsrand. In Kirchhundem empfängt Christopher Mennekes seine Besucher in einem holzgetäfelten Besprechungszimmer, das sein Großvater, der Firmengründer, einrichten ließ. Vor einigen Jahren übernahm Mennekes von seinem Vater die Anteilsmehrheit an dem Familienunternehmen, das weltweit in mehr als 70 Ländern aktiv ist.
Sie leben und arbeiten in einer sehr idyllischen Region. Da könnte der Verdacht entstehen, dass hier eine Mentalität herrscht, der globale Zusammenhänge ziemlich egal sind.
Die Menschen hier in der Region wissen, was sie an den weltweit tätigen Unternehmen des Mittelstands haben. Bei der Mehrheit der Bevölkerung gibt es ein Verständnis dafür, dass wir alle in den letzten Jahrzehnten stark von der Globalisierung profitiert haben. Viele, die hier in Fachwerkhäusern leben, waren selbst schon einmal für ihr Unternehmen im Ausland. Aber es gibt natürlich auch hier Menschen, die sich angesichts globaler Herausforderungen die Frage stellen, wo die Reise hingehen soll.
Anstelle von „Herausforderungen“ könnte man angesichts von Brexit und Handelskriegen auch von Verwerfungen sprechen. Wie sehr betrifft Sie das als Unternehmer?
In unserem Kerngeschäft – den Industriesteckvorrichtungen – haben wir eine Exportquote von 55 Prozent, Tendenz steigend. Der Brexit trifft uns ganz konkret, etwa durch die Gefahr, dass Lieferketten unterbrochen werden könnten, aber auch durch Zölle und Wechselkurse. Ganz zu schweigen von einer möglichen Rezession, die sich in Großbritannien an den Austritt anschließen kann.
Allerdings sind der Elektroindustrie auch in der Vergangenheit immer wieder einzelne Märkte aus politischen Gründen weggebrochen.
Man kann schon den Eindruck gewinnen, dass der Brexit symptomatisch ist für eine weltweite politische Polarisierung. Auch in eigentlich gefestigten Demokratien sehen wir Regierungen, die ihr Land vom Rest der Welt stärker abkapseln wollen. Das ist ein Problem für die westliche Welt, denn unsere Politik war erfolgreich, weil wir auf Multilateralismus gesetzt haben. Ich glaube trotzdem, dass das weiterhin der richtige Weg ist: Wir wollen in der Welt auf Augenhöhe unterwegs sein und die globalen Probleme gemeinsam lösen. Protektionismus ist in meinen Augen ein absoluter Irrweg!
Wenn die Welt aber einen solchen Weg geht, können Sie dann nicht die Exportquote senken und stattdessen mehr Produktionswerke in den Zielmärkten aufbauen?
So ohne Weiteres geht das nicht. Wir sind mit unserem Industriegeschäft in einem hochspezialisierten Nischenmarkt mit relativ kleinen Stückzahlen unterwegs. Da ergibt es keinen Sinn, in jedem Land der Welt eigene Produktionsstätten aufzubauen. Das gilt zumindest für das Kerngeschäft. Allerdings haben wir in den letzten Jahren mit der Elektromobilität ein weiteres Geschäftsfeld erschlossen, das sich deutlich dynamischer entwickelt. Das kommt uns aktuell zugute. Denn während das Kerngeschäft, auch wegen der wirtschaftlichen Verwerfungen in der Welt, deutlich leidet, wird das Geschäft mit Ladeinfrastruktur und Fahrzeugkomponenten vermutlich besser abschließen als geplant.
Sie haben auch deswegen mit der Elektromobilität so viel Erfolg, weil Sie mit dem Typ-II-Ladestecker einen Standard setzen konnten – eine Strategie, mit der die deutsche Elektroindustrie weltweit immer wieder erfolgreich war.
Die Elektroindustrie setzt Standards nicht aus protektionistischen, sondern aus technischen Gründen. Wenn die Technik weltweit anerkannt wird, gilt das auch für die Standards. Aber natürlich sehen wir, dass neue Akteure versuchen, ihre Märkte durch eigene Normen zu schützen. Für manche Produkte ist das nicht so tragisch: Innerhalb Europas brauchen wir einen Ladestecker, aber kaum jemand fährt mit seinem Auto bis nach China. Übrigens ist der chinesische Ladestecker dem europäischen sehr ähnlich, nur waren wir mit der Standardisierung nicht schnell genug. Generell halte ich es für richtig, dass die technisch beste Lösung zur Norm wird, nicht jene, die von den mächtigsten Anbietern vertreten wird. Wenn wir die Standards hoch setzen, hilft das auch den Unternehmen, die die beste Qualität anbieten können. In vielen Fällen sind das europäische Unternehmen.
Nur dass gemeinsame europäische Lösungen oft lange dauern …
Schneller zu werden, das wäre nicht schlecht, wie das Beispiel Ladestecker zeigt. Es wäre gut, wenn die Länder in Europa wieder besser zusammenarbeiten würden. Und als Unternehmer sollten wir separatistischen Tendenzen entgegentreten und den Menschen die Vorteile eines gemeinsamen Marktes erläutern.
Auf europäischer Ebene wird unter dem Schlagwort „Resilienz“ derzeit auch diskutiert, ob wir uns unabhängiger von Zulieferungen außerhalb des Binnenmarktes machen sollten.
Unabhängigkeit gibt es eigentlich gar nicht, nur gut verteilte Abhängigkeiten. In der Corona-Krise war zu erkennen, dass das in einigen Bereichen nicht gut war. Das gilt in ähnlicher Weise für die Batterietechnologie. Denn Akkus sind nicht für die Elektromobilität, sondern als Speicher für die gesamte Energiewende wichtig. Da dürfen wir uns nicht in Abhängigkeiten begeben, die uns letztlich erpressbar machen oder zumindest dem Wettbewerb schaden. Das Know-how, um hier etwas aufzubauen, haben wir, auch wenn es wirtschaftlich anfangs noch nicht so attraktiv ist. Generell gilt für alle Schlüsseltechnologien, dass wir Abhängigkeiten reduzieren sollten.
Wie weit darf staatliches Handeln da gehen?
Am Ende muss es immer marktwirtschaftlich funktionieren, Subventionen sind nur für beschränkte Zeiträume sinnvoll. Wir leben nun aber in einer Welt, in der einige staatliche Akteure den Wettbewerb bewusst verzerren. Diese Verzerrung zu kompensieren, um für hiesige Unternehmen wettbewerbsfähige Bedingungen zu schaffen, das sollte schon das Ziel von Politik sein. Zeitgleich sollte jede Regierung daran arbeiten, durch Vereinbarungen auf staatlicher Ebene die Verzerrungen zu beseitigen.
Und wenn das nicht funktioniert?
Ein Stück weit muss man als Mittelständler damit leben. Wir müssen darauf hoffen, dass die globalen Herausforderungen die Weltgemeinschaft wieder zusammenschweißen. Dass also die Verwerfungen, die wir aktuell vielerorts beobachten, temporäre Erscheinungen sind. Ich setze darauf, dass die Vorteile, die Multilateralismus hat, letztlich erkannt werden. Schließlich sind die Rechnungen für den Brexit und „Make America great again“ noch nicht geschrieben.
Der Verzicht auf internationale Arbeitsteilung kostet auf jeden Fall Wohlstand.
Und er schwächt das Prinzip „Wandel durch Handel“.
Viele Menschen haben mittlerweile die Hoffnung aufgegeben, dass Wandel durch Handel funktioniert.
Ich noch nicht. In den letzten Jahrzehnten ist es gelungen, durch Globalisierung und Wirtschaftswachstum viele Menschen aus der Armut zu heben. China ist dafür ein gutes Beispiel. Das zeigt mir, dass das Prinzip grundsätzlich weiterhin funktioniert. Gleichzeitig ist die Welt aber auch viel transparenter geworden, wir nehmen über digitale Medien mehr Probleme wahr als früher.
Ich habe nicht den Eindruck, dass China in der Handels- und Industriepolitik auf Fairplay setzt.
Wir müssen schon erkennen, dass China sich als Wettbewerber aufstellt und den Multilateralismus ebenfalls weniger pflegt. Stattdessen verfolgt das Land eine eigene hegemoniale Agenda, wie man in Afrika beobachten kann. Darauf sollten wir uns einstellen und Verantwortung einfordern. Als Europa sollten wir da selbstbewusster auftreten.
Lassen Sie uns noch darüber reden, was wir hierzulande tun können. Wie wichtig ist es für ein exportorientiertes Land, sogenannte Leitmärkte aufzubauen?
Wenn wir bei einer bestimmten Technologie davon überzeugt sind, dass sie strategische Bedeutung gewinnen wird, sollten wir auch versuchen, selbst zum Leitmarkt zu werden. Denn sonst bauen sich internationale Wettbewerber auf und kommen dann zu uns. Das erleben wir gerade mit der Elektromobilität. China, Norwegen und die Niederlande haben mit starken Subventionen einen Markt für Ladeinfrastruktur aufgebaut. Die Anbieter aus diesen Ländern kommen nun auf den deutschen Markt. Da hätten wir die Weichen früher stellen sollen.
Wenn Deutschland nicht zumindest den Willen erklärt hätte, Leitmarkt für Elektromobilität zu werden, hätten Ihr Vater und Sie sich dann gegen den Einstieg in die Ladetechnik entschieden?
Wir hätten die Entscheidung genauso getroffen. Aber mit dem Stecker hatten wir anfangs auch nur einen kleinen Ausschnitt im komplexen System Elektromobilität. Von Jahr zu Jahr steigen die Investitionen allerdings, und da wäre eine gewisse Absicherung durch einen starken Heimatmarkt schon gut.
Im Jahr 2050 dürften Ihre Kinder ungefähr so alt sein wie Sie heute. Wie offen ist die Welt dann?
Bis 2050 müssen wir große Probleme gelöst haben, insbesondere was den Klimawandel betrifft – und das kann der Staatengemeinschaft nur gemeinsam gelingen. Ich bin Optimist. Die Welt wird zum Multilateralismus zurückfinden.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Mennekes.
Text: Johannes Winterhagen | Fotografie: Henning Ross
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4 am 17. November 2020 erschienen.
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