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Europa & International
15.09.2021
Je nach Teilbranche der Elektroindustrie erwirtschaften die Mitgliedsfirmen der Branche bis zu 80 Prozent ihrer Umsätze mit ausländischen Kunden und Lieferanten. China hat sich in den letzten Jahren zum größten Markt für die E+E Industrie entwickelt, massiv gefördert durch staatliche Investitionspolitik und harten Protektionismus. Unabhängig davon fühlen sich die meisten Firmen verpflichtet, an diesem Marktwachstum zu partizipieren, schon um nicht den Anschluss an die Mittwettbewerber zu verlieren (Existenzfrage). Die chinesische Technologiepolitik (China 2025, Dual Circulation; OBOR, Decouplingstrategie…) und die Züchtung nationaler Champions zur Schaffung rein nationaler Wertschöpfungsketten versprechen den beteiligten Komponentenlieferanten starke Umsätze.
Die chinesische Expansionspolitik, die unter der Überschrift „one belt one road“, OBOR, Nachbarländer zu Land und zu Wasser mit kreditfinanzierten Infrastrukturprojekten erschließt, schafft einerseits finanzielle Abhängigkeiten, andererseits erhalten diese Staaten funktionierende Infrastrukturanlagen. Inwieweit die neue Infrastruktur zur Entwicklung / zum Wachstum der jeweils nationalen Volkswirtschaften beiträgt, hängt sehr stark von den übrigen nationalen Rahmenbedingungen ab. Klug eingesetzt kann aus solchen Projekten ein Anschub für die Überwindung von Entwicklungsrückständen erwachsen. Im Übrigen hatten sich auch einige westliche Unternehmen vorgestellt, als Lieferanten von Komponenten bei diesen Infrastrukturprojekten einsteigen zu können. Der Nachweis steht noch aus.
Auf der anderen Seite steht die Menschenrechtsdiskussion der letzten Monate v.a. in Deutschland (z.B. Zwangsarbeit, Umerziehungslager für Uiguren) und das von der Bundesregierung beschlossene „Sorgfaltspflichtengesetz“, welches Einkäufer und Investoren moralisch und per Haftungsrecht gesetzlich unter Druck setzt, damit Unternehmen sich von diesen Praktiken und Direktinvestitionen ebendort auch nachweislich distanzieren.
Mit dem „Xinjiang Supply Chain Business Advisory“ hat die US-Regierung Bestimmungen erlassen, die den Wirtschaftsverkehr mit Unternehmen in der Xinjiang-Region reglementieren.
Die neuen Leitlinien „New EU guidance helps companies to combat forced labour“ der EU-Kommission enthalten strukturierte Hinweise zum Ausschluss von Zwangsarbeits-Risiken in Geschäftsbeziehungen (eigene Lieferketten, aber z. B. auch Dienstleister etc.). Sie schließen an die „EU Trade Policy Review“ vom Februar 2021 an, die zwei spezifische Maßnahmen in Bezug auf Zwangsarbeit enthält.
Die jetzt vorgelegten Leitlinien der EU-Kommission sind ausdrücklich als „Platzhalter“ bis zu einer gesetzlichen Regelung im Bereich Sorgfaltspflichten in der Lieferkette auf EU-Ebene gedacht.
Im zweitgrößten Markt der Elektroindustrie, den USA, hat die Trump-Administration massiven Druck auf international operierende High Tech Firmen aufgebaut, indem Komponenten bestimmter chinesischer Hersteller (HUAWEI, ZTE…) in Angeboten für staatliche Ausschreibungen in den USA als Ausschlussgrund gewertet und die (potentiellen) Lieferanten mit extraterritorialen Sanktionen (denied person) bedroht wurden. Gleichzeitig werden - und das wird auch die Regierung Biden kaum ändern - Exportvorgänge von High-Tech-Gütern aus der EU und von jedem anderen Ort in der Welt den auch für deutsche Firmen angewandten amerikanischen Genehmigungspflichten für Technologieverkehr (Begründung „national security“) unterworfen. Dies ist besonders heikel, d.h. nicht genehmigungsfähig, wenn sich die Vertragspartner auf den schwarzen Listen der USA (entity list) finden.
Im Gegenzug hat China nicht nur ein eigenes Exportkontrollgesetz erlassen, um den USA auf Augenhöhe begegnen zu können, sondern im Juni d.J. ein neues Anti- Sanktions-Gesetz beschlossen. Das Gesetz schafft neue Unsicherheiten durch breit gefasste Formulierungen, die vor allem in China investierte deutsche und europäische Unternehmen betreffen. Es sind zahlreiche Szenarien denkbar, die die Unternehmen einer Zwangslage aussetzen.
Sofern etwa die EU Lieferbeschränkungen oder Sanktionen gegen chinesische Einrichtungen oder Unternehmen in Kraft setzt, stehen Unternehmen aus Deutschland vor der Herausforderung entweder die deutsche/europäische Gesetzgebung zu befolgen und damit unter das chinesische Anti- Sanktionsrecht zu fallen oder gegen deutsche/europäische Bestimmungen zu verstoßen, um in China keinen Strafmaßnahmen ausgesetzt zu sein.
Dies bringt europäische Firmen in eine mehrdimensionale Zwangslage, einerseits das schnelle Wachstum in China nicht zu verpassen und andererseits vom Technologienachschub aus den USA nicht abgeschnitten zu werden und den dortigen Absatzmarkt nicht zu verlieren.
Ein Abkoppeln vom Weltmarkt und eine „Reshoring Politik, wie von manchen empfohlen, kann angesichts der internationalen Arbeitsteilung und vielfältig verflochtener Lieferketten nur in ganz wenigen Fällen als Ausweg dienen. Oft kennen die Hersteller elektrischer oder elektronischer Komponenten die Endkunden gar nicht, an die ihre direkten Abnehmer die Maschinen und Anlagen liefern, in die die Komponenten der E+E Industrie eingebaut werden.
Hier sind die Firmen selbst gefordert, eigene Marketing- und Absicherungsstrategien zu entwickeln, um nicht mit den rechtlichen Anforderungen anderer Staaten in Konflikt zu geraten. Der ZVEI wird die Änderungen bei den rechtlichen Rahmenbedingungen mitverfolgen und innerhalb des Verbandes kommunizieren.