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07.04.2025

Bürokratieabbau als Konjunkturprogramm

Der Standort Deutschland braucht dringend wirtschaftspolitische Impulse. ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel und Prof. Dr. Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, sehen in der Deregulierung einen Hebel für einen neuen Aufschwung.

Zwiegespräch

Bürokratieabbau als Konjunkturprogramm

Der Standort Deutschland braucht dringend wirtschaftspolitische Impulse. ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel und Prof. Dr. Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, sehen in der Deregulierung einen Hebel für einen neuen Aufschwung.

Was muss die neue Bundesregierung tun, um den Standort Deutschland wieder auf die Erfolgsspur zu führen? 

Schularick: Wir brauchen eine volle Breitseite angebotsseitiger Reformen. Dazu gehört, dass wir das Arbeitsangebot ausweiten, indem wir Menschen Anreize setzen, mehr und länger zu arbeiten. Und wir benötigen eine intelligente, unbürokratische Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Dazu gehört auch, dass wir Bürokratie auf breiter Front abbauen, Prozesse beschleunigen, die Macht von Lobbyverbänden einschränken und den Staat wieder in die Position bringen, die nötige Transformation bewältigen zu können. Und für diese Maßnahmen müssten nicht einmal öffentliche Mittel in nennenswertem Umfang aufgewendet werden.

Kegel: Ja, wenn es gelingt, die unsinnigen Berichtspflichten abzubauen, würden wir sehr viel Arbeitskraft wieder für wertschöpfende Tätigkeiten einsetzen können. Bürokratieabbau wäre wirklich ein kostenloses Konjunkturprogramm. 

Wie stark beeinträchtigt die Bürokratie die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands?

Schularick: Sie ist ein enormer Wettbewerbsnachteil, weil viele Prozesse unglaublich langwierig werden. Wir verlieren jegliche Agilität beim Infrastrukturausbau, haben wahnsinnig lange Reaktionszeiten – weil wir einen riesigen, teuren, aber nicht besonders leistungsfähigen Staatsapparat unterhalten. Unsere dysfunktionalen Regelwerke sind eine Art Labyrinth, aus dem wir selbst nicht mehr herausfinden. 

Kegel: Wir dürfen nicht übersehen, dass uns die Regulierung gleich von drei verschiedenen Seiten aus trifft: Wir reden von Europa, wir reden vom Bund und wir reden von den Bundesländern. Alle drei arbeiten eifrig daran, uns durch weitere Regulierungen einzufangen. Dieser Bürokratisierungswahnsinn verursacht enorme Kosten. Und dann erleben wir im Wettbewerb, dass zum Beispiel China eine ganz andere Geschwindigkeit entwickelt und oft wettbewerbsfähiger ist. 

Ein weiteres großes Thema sind die Energiekosten. Wie können wir wieder auf ein konkurrenzfähiges Niveau kommen? 

Schularick: Da müssen wir zunächst differenzieren: Die Gas- und Ölpreise sind auf dem Weltmarkt derzeit nicht besonders hoch. Ein Problem haben wir dagegen bei den Elektrizitätspreisen, die auf dem aktuellen Niveau die Transformation zu einem fast ausschließlich auf Elektrizität beruhendem Energieverbrauch schwieriger machen. Es lohnt sich momentan nicht, elektrizitätsbasierte und klimaschonende Technologien zu verwenden – Stichwort: Wärmepumpe. Wir haben unnötigerweise den Elektrizitätspreis über Steuern, Abgaben und Netzentgelte auf ein zu hohes Niveau gehoben. Da müssen wir ran, zum Beispiel, indem wir über Strompreiszonen nachdenken. Das könnte den Bayern und den Baden-Württembergern einen Anreiz geben, ihre Netze auszubauen. 

Kegel: Strompreiszonen spalten das Land und lassen sich politisch nicht durchsetzen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass es bei uns keine Wettbewerbsvorteile aus günstiger Energie gibt und wir immer ein bisschen mehr zahlen müssen als andere. Aber wir müssen nicht durch selbstgemachte Regeln einen Strompreis haben, der mehr als doppelt so hoch ist wie in anderen Teilen der Welt.

Schularick: Wir brauchen zunächst einmal genügend Elektrizität. Ich bin nicht davon überzeugt, dass die Prognosen des Bundeswirtschaftsministeriums stimmen und wir 2050 ein gutes Viertel weniger Endenergieverbrauch haben werden. Ich sehe eher, dass mit der Künstlichen Intelligenz und digitalen Anwendungen deutlich höhere Verbräuche auf uns zukommen. Das heißt, wir brauchen mehr Elektrizität – und wir brauchen günstigere Elektrizität. Das ist eine Riesenaufgabe.

Kegel: Dem stimme ich zu 100 Prozent zu. Wenn wir das Zielbild der All Electric Society verfolgen, muss der Strom preiswert sein. Die Mehrheit der Konsumenten wird keine Wärmepumpen und Elektroautos kaufen, wenn sie ihnen keine Kostenvorteile bringen. Auf der anderen Seite müssen wir uns auch eingestehen, dass durch das günstige russische Gas in Deutschland auch Industrien entstanden sind, die hier nur beschränkt sinnvoll sind. 

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Kegel: Früher konnten hier im großen Stil Düngemittel produziert werden, um sie dann in der Welt zu verkaufen. Bei höheren Gaskosten bricht dieses Geschäftsmodell zusammen, und die Düngemittel werden dort produziert, wo sie gebraucht werden und wo die Energie günstiger zu haben ist – beispielsweise in Asien, vor allem in China. 

Schularick: Wir sollten uns in Deutschland nicht auf energieintensive Industrien spezialisieren oder diese um jeden Preis hier erhalten wollen. Im Gegenteil, ich denke, der Weg für die deutsche Wirtschaft ist vorgezeichnet: Wir werden mehr auf Qualität statt auf Quantität setzen müssen. Dann wird die Autoindustrie nicht mehr Volumenmodelle, sondern hochpreisige Autos bauen. Wir werden nicht mehr die Grundlagenchemie, sondern Spezialchemie produzieren. Wir werden den Weg gehen, den die Schweiz schon seit 20 Jahren verfolgt. Wenn wir in Deutschland aber wie bisher sehr veränderungsresistent sind, wird es bei uns länger dauern und mit mehr Widerständen verbunden sein. 

Herr Dr. Kegel, wie steht Ihre Industrie dazu?

Kegel: Im Bereich der Automatisierungstechnik haben wir wichtige Kunden in der chemischen Industrie. Es wäre fatal für uns, wenn sie den Standort verlassen und beispielsweise nach China abwandern, weil sie dort für uns viel schwerer zu betreuen sind. Deshalb stellt sich schon die Frage, wie wir Energiepreise auf ein Niveau bringen, auf dem wir diese Industrien hier erhalten können.

Schularick: Aber ich denke, es ist jedem klar, dass beispielsweise die Flachstahlproduktion in Deutschland keine Wachstumsindustrie sein wird.

Kegel: Aber wenn sie abwandert, brauchen wir uns nicht einbilden, dass sie in Länder abwandert, in denen man klimagerechter arbeitet als hier. 

Schularick: In sehr sonnenreichen Staaten ließe sich auch Stahl klimaneutral mit günstigem grünem 
Wasserstoff produzieren. 

Kegel: Das mag sein, aber die Kernfrage für uns ist doch, ob wir am Ende noch eine Standortstrategie haben, die für Deutschland passt und mit der wir unseren Wohlstand bewahren können. Wenn wir viele alte Industrien aufgeben, sind wir gezwungen, mit einer enormen Innovationskraft neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Ich will die Innovationskraft der deutschen Unternehmen nicht kleinreden, aber wir waren bisher immer spitze in der Detailverbesserung, in der Optimierung – und eben nicht darin, etwas ganz Neues zu schaffen.

Schularick: Aber das darf nicht dazu führen, dass wir – so wie es passiert ist – auf dem Weg in die Digitalisierung am Lenkrad einschlafen. Bei der KI sind wir inzwischen auch abgeschlagen, obwohl wir in der Wissenschaft durchaus führend sind. Wir schaffen es eben nicht, einen solchen Vorsprung in Geschäftsmodelle umzuwandeln und zu skalieren. 

Kegel: Ja, das fällt uns schwer, und wir haben es im Zuge der Digitalisierung nicht geschafft, einen Hyperscaler hervorzubringen. Das werden wir auch nicht mehr schaffen. Aber in anwendungsspezifischen Bereichen haben wir mit digitaler Technik und auch mit KI durchaus gute Ausgangspositionen und Marktstellungen.

Sehen Sie vor dem Hintergrund der Standortdiskussion im Klimaschutz eher Chancen oder eher Risiken?

Schularick: Ich denke, wir haben gar keine Wahl. Wir müssen den Klimaschutz als Chance sehen. Der Klimawandel ist real, und wir haben uns im Übrigen in der Verfassung zum Klimaschutz verpflichtet. Und ich bin auch überzeugt, dass intelligente Klimatechnologien und Mobilitätskonzepte gute Exportchancen hätten. Aber dazu müssen wir Regulierungen abbauen und kräftig investieren, zum Beispiel in das Elektrizitätsnetz. Es wäre fahrlässig, jetzt zu sagen: Wir warten 15 Jahre, bis wir das aus laufenden Einnahmen finanziert haben. Wir werden das über Kredite finanzieren müssen. 

Kegel: Ich sehe die größte Herausforderung für uns in Deutschland darin, Klimaschutz und Wohlstandserhalt so übereinander zu schieben, dass beides im Einklang miteinander steht. Hier geht es natürlich um die Frage, wie wir das finanzieren. Wir haben ausgerechnet, dass es sich um eine Größenordnung von 400 bis 600 Milliarden Euro handelt. Das können wir nicht einfach aus dem Haushalt abknapsen. Dann würden wir den sozialen Frieden riskieren.

Wo kann Deutschland Ihrer Ansicht nach in vier Jahren stehen, wenn Ihre Forderungen größtenteils umgesetzt werden?

Schularick: Das Positive ist – und das sage ich mit einem Augenzwinkern –, dass wir aktuell so weit hintendran sind, dass es gar nicht so viel Aufwand erfordert, wieder besser zu werden. Wenn wir jetzt vieles richtig machen, werden wir in vier Jahren immerhin wieder ein bisschen Wachstum von vielleicht einem Prozent haben und die großen Fragen in einer weniger aufgeheizten Stimmung lösen können.

Kegel: Ich sehe das genauso. Ich glaube, es gibt kaum ein Land, das so wie wir alle Möglichkeiten hat, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Nehmen wir die Digitalisierung des Staatsapparates: Die ist so schlecht, dass schon Kleinigkeiten eine signifikante Verbesserung bringen können. Letztlich geht es in der Wirtschaft immer auch um Psychologie. Auch simple Maßnahmen können Zeichen setzen, sodass wir am Standort Deutschland handlungsfähig werden und die Unternehmen wieder investieren.

Zur Person Prof. Dr. Moritz Schularick

Moritz Schularick ist seit Juni 2023 Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Sciences Po (Paris). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Politische Ökonomie und Internationale Finanzen. Er berät regelmäßig Zentralbanken, Regierungen und internationale Organisationen. Unter anderem hat er im Laufe seiner akademischen Karriere an der New York University, der University of Cambridge, der Freien Universität Berlin und in der Forschungsabteilung der Federal Reserve Bank of New York geforscht.
Zur Person Dr. Gunther Kegel

Im Bürokratieabbau sowie in besseren Rahmenbedingungen für Innovation sieht Dr. Gunther Kegel wichtige Voraussetzungen für ein Wiedererstarken des Standorts Deutschland. Zudem hält der ZVEI-Präsident Infrastrukturinvestitionen für notwendig, um Klimaschutz und die Wahrung des Wohlstands möglich zu machen und in Einklang zu bringen. Seit 23 Jahren führt er als Vorstandsvorsitzender die Pepperl+Fuchs SE. Kegel engagiert sich seit 1998 im ZVEI-Vorstand, seit 2020 ist er der Präsident des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie.

 

Text Michael Gneuss | Bilder Verena Brüning

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2025 am 24. März 2025 erschienen.

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