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08.03.2022
Im Sommer 2021 hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für das sogenannte „Fit for 55 Paket" veröffentlicht. Das Paket mit 13 Rechtsakten ist ein wichtiger Teil des EU-Green Deal und soll das Erreichen der europäischen Klimaziele 2030 und 2050 gewährleisten. Der ZVEI unterstützt ausdrücklich die angestrebte Vorreiterrolle Europas und das Leitbild einer klimaneutralen europäischen Gesellschaft. Wie kommen wir also dorthin und welchen Beitrag muss das EU-Paket leisten?
Erstens: Um die Elektrifizierung weiter zu beschleunigen, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien mit Zielen unterlegt und mit neuen Instrumenten forciert werden. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) schreibt richtigerweise ein EU-weites Ziel von 40 Prozent für die Nutzung regenerativer Energie im Jahr 2030 vor, für den Gebäudesektor sind sogar 49 Prozent vorgesehen. Ferner sollen Grünstromdirektlieferverträge (PPAs) gefördert und Empfehlungen für schnelle Genehmigungsverfahren für den Bau von Erzeugungsanlagen auf die o. g. Ziele einzahlen. Auch die Stärkung von Energieeffizienzanforderungen durch eine ambitionierte Neufassung der Energieeffizienz-Richtlinie (EED) befördert die Elektrifizierung. Denn nur durch die Elektrifizierung der Verbrauchssektoren Industrie, Verkehr und Gebäude lassen sich Primär- und Endenergieverbrauch europaweit massiv senken. Die jährlichen Energieeinsparziele sollten deshalb von derzeit vorgesehenen 1,5 auf 2,5 Prozent gesteigert werden.
Zweitens: Mit einem erhöhten aber nicht konstant gleichbleibendem Strombedarf durch Elektrifizierung müssen auch die Transportwege – die Stromnetze – ertüchtigt und eine dezentrale Einspeisung elektrischer Energie auf allen Spannungsebenen sowie ein flexibler, d. h. auf Preissignale reagierender Strombezug durch Verbraucher ermöglicht werden. Dies kann nur durch eine umfassende Digitalisierung der Stromnetze und der Verbraucher gelingen. Das Fit-for-55-Paket verpasst hier die Chance, auf Fortschritt zu pochen. Der ZVEI schlägt die Einführung eines ‚Smart Readiness Indicator for Grids‘ vor, um den Grad der Digitalisierung in den Stromnetzen transparent zu erheben. Gleichzeitig muss der EU-Aktionsplan für die Digitalisierung des Energiesystems, der allerdings nicht zum Fit-for-55-Paket gehört, mit Tempo und Ambitionen auf den Weg gebracht werden.
Drittens: Die Verdrängung von fossiler Energie in den Verbrauchssektoren Industrie, Verkehr und Wärme kann nur gelingen, wenn grüner Strom und seine Derivate, wie etwa grüner Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe, günstig, CO2-reiche Energieträger hingegen effektiv bepreist werden. Dazu bedarf es eines neuen EU-Emissionshandelssystems für Verkehr und Wärme sowie eine Energiebesteuerung, die sich am CO2-Gehalt der Energieträger orientiert. Zudem sollte überprüft werden, inwieweit EU-Vorgaben mit Blick auf dynamische Stromtarife verschärft und lastvariable Netzentgelte eingeführt werden können. So können Strompreissignale im Energiesystem zukünftig positiv zur Integration erneuerbarer Energien beitragen.
Hochumstritten ist der Vorschlag der EU, einen CO2-Preis an der EU-Außengrenze auf ausgewählte Produkte, wie etwa Stahl und Strom, zu erheben. Mit dem Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM, soll die freie Zuteilung von CO2-Zertifikaten im EU-Emissionshandel für die Energiewirtschaft und große Industrieanlagen stetig heruntergefahren und dennoch Carbon Leakage verhindern werden. Ob der komplizierte Aufbau eines solchen Instruments ein positives Kosten-Nutzen Verhältnis mit sich bringt, darf wohl bezweifelt werden. Viele Probleme bleiben schlicht ungelöst.
Richtig ist unterdessen, allen Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa durch gezielte Förderung den Umstieg auf Grünstrom-basierte Energie (fuel switch) zu ermöglichen, nicht zuletzt, um die Akzeptanz der Energiewende nicht erodieren zu lassen.
Wer Klimaschutz ernst meint, der muss auf die drei Säulen der Elektrifizierung hinarbeiten: Den Ausbau erneuerbarer Energien, die Digitalisierung des Energiesystems und eine mutige Reform der Strompreise. Das Fit-for-55-Paket und die Elektro- und Digitalindustrie leisten hier einen wertvollen Beitrag.