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22.02.2023
Die seit spätestens Anfang 2022 hohe Inflation weckt Erinnerungen an die späten 1970er bis Anfang 1980er Jahre. Etliche Industrieländer hatten es bis vor kurzem mit (jährlichen) Preissteigerungsraten von etwa zehn Prozent zu tun. Zuletzt war das 1983 der Fall. Danach kam eine recht lange Phase mit niedriger Inflation. Diese musste allerdings zunächst hart erkämpft werden, worin gewisse Lehren auch für die heutige Situation liegen könnten.
Bislang besteht die Hoffnung, die Preissteigerungen könnten bald deutlich moderater ausfallen, ohne hierfür einen scharfen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen zu müssen. Begründet wird das einerseits damit, angebotsseitige Engpässe hätten die Inflation getrieben und diese fielen früher oder später auch wieder weg. Zudem hätten sich die gestiegenen Preise noch nicht allzu sehr in den Erwartungen verankert, sprich: wenn davon ausgegangen würde, dass die Inflation wieder zurückgeht, dann täte sie es auch.
Allerdings sind die zu hohen Preissteigerungsraten schon längst nicht mehr auf Energie und Lebensmittel begrenzt, sondern haben sich auf viele weitere Güter und Dienstleistungen ausgebreitet. Wie stabil die Inflationserwartungen tatsächlich sind, darüber lässt sich ebenfalls streiten. Schließlich legen die Erfahrungen mit der Inflationsbekämpfung in den 1980er Jahren ein paar Lektionen nahe, von denen drei herausstechen.
So kann es, erstens, ziemlich lange dauern, bis die Inflation wieder auf Normalmaß sinkt. Ob man es auf Anhieb glauben will oder nicht: Italien, bzw. seine Notenbank, war damals vergleichsweise schnell angetreten, die hohen Preissteigerungsraten zu bekämpfen. Aber auch hier hat es von 1980 bis 1986 gedauert, um die Inflation von 22 auf vier Prozent zu senken. Und in insgesamt fünf Jahren innerhalb dieser Zeitspanne zogen die Preise um mehr als zehn Prozent an. Schätzungen bezüglich der aktuellen Situation zufolge dürfte es bis mindestens Ende 2025 dauern, um die Inflation in den Industrieländern im Schnitt wieder auf zwei Prozent zu drücken.
Zweitens braucht die Geldpolitik im Kampf gegen die Inflation die Unterstützung weiterer Träger der Wirtschaftspolitik. Allein tut sie sich ungleich schwerer. Tatsächlich lässt sich verargumentieren, dass in den 1980er Jahren vor allem auch Liberalisierungsschritte – also Reformen in Sachen Wettbewerb, Arbeits- und Produktmärkte etc. – ihren Teil beigetragen haben. Je mehr Konkurrenz auf einzelnen Märkten, desto niedrigere Preise dort! Allerdings nehmen solche Reformen Zeit in Anspruch, bis sie ihre Wirkung entfalten können. Eine besondere Rolle kommt der Fiskalpolitik, also der staatlichen Einnahmen- und Ausgabenpolitik, zu. In den 80ern hat man irgendwann realisiert, dass expansive Finanzpolitik die Inflationsbekämpfung unterminiert und deshalb dann teils sogar auf Austerität umgeschwenkt. Aktuell zielen Geld- und Fiskalpolitik noch nicht in die gleiche Richtung.
Die dritte Lehre der 1980er Jahre ist die unschönste. Danach gelingt es in aller Regel nicht, der Inflation Einhalt zu gebieten, ohne eine Rezession einzuleiten. Die erwünschte weiche Landung klappt meist nicht. In den fünf Jahren nach 1979 hat sich die Arbeitslosigkeit in den Industriestaaten verdoppelt. Manche Bereiche, wie etwa der Bau, schrumpften zwischenzeitlich sogar um ein Fünftel.
Der ehemalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl hat Inflation mal mit Zahnpasta verglichen. Einmal raus aus der Tube, bringt man sie kaum mehr wieder rein. Damit ist zumindest gesagt, dass es alles andere als einfach ist, hohe Preissteigerungsraten wieder einzufangen.
Dr. Andreas Gontermann