Termine
17.05.2023
In den 2010er Jahren nach der globalen Finanzkrise sind die Zinsen – der Preis für Geld bzw. Kredit – auf ein sehr niedriges bis Nullniveau gesunken. Der Rückgang betraf vor allem auch die von der Geldpolitik weniger beeinflussten langfristigen Zinsen. Seit der Erholung von der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine steigt das Zinsniveau wieder.
Noch ist allerdings nicht ausgemacht, dass die Niedrigzinsphase damit endgültig vorbei ist. Tatsächlich sprechen einige makroökonomische Faktoren eher für ihre Rückkehr.
Der (Wieder-)Anstieg der Zinsen seit etlichen Monaten lässt sich – insbesondere für die USA – u.a. mit der recht großzügigen Finanzpolitik erklären. Die insgesamt üppigen fiskalischen Unterstützungsmaßnahmen bedurften der Kreditfinanzierung. Wenn der Staat dann am Kapitalmarkt – zumal bei hoher volkswirtschaftlicher Beschäftigung – mit privaten Akteuren um finanzielle Mittel konkurriert, treibt das die Zinsen hoch.
Auch aus einem anderen Blickwinkel gelangt man zum gleichen Resultat: Sehr expansive Fiskalpolitik stimuliert die Wirtschaft. Auf die damit einhergehenden steigenden Preise muss die Notenbank mit Zinserhöhungen reagieren. In Europa kommen bedingt durch die Energiekrise noch angebotsseitige Inflationstreiber hinzu, die geldpolitisch ebenfalls kaum ignoriert werden können, soll eine Lohn-Preis-Spirale verhindert werden.
Zwar könnte sein, dass die Staatshaushalte noch eine Weile auf weitere Defizite setzen. Unwahrscheinlich erscheint aber eine Wiederholung der ganz dicken Pakete und damit auch der genannten Crowding-out-Effekte.
Was treibt die Zinsen auf lange Sicht – jenseits konjunktureller Einflüsse? Ein Gleichgewicht aus Ersparnissen einerseits und der Nachfrage nach Kapital zwecks Finanzierung von Projekten und Investitionen andererseits.
Die Niedrigzinsphase seit etwa 2010 war letztlich geprägt von zu viel Ersparnis und zu wenig Investitionsbereitschaft. Wenn sich der Nebel der Auswirkungen von Pandemie und Krieg hoffentlich bald gelichtet haben wird, hat sich an dieser strukturellen Konstellation womöglich wenig geändert.
Gemäß der These vom sog. Akzelerator-Effekt orientieren sich geplante Investitionsausgaben vor allem am zu erwartenden Wachstum des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials. Kurz: Lässt sich künftig hohes Wirtschaftswachstum erwarten, dann wird auch viel investiert. Andernfalls entsprechend nicht.
Während das auf die nächsten zehn Jahre erwartbare Wachstum Mitte der 1990er Jahre noch über drei Prozent lag, ist es vom Standpunkt heute aus auf weniger als die Hälfte davon gesunken. Das hat mit der Bewertung des gegenwärtigen technischen Fortschritts zu tun, aber insbesondere auch mit der demografischen Entwicklung. In Rente gehende Babyboomer-Jahrgänge fehlen danach nun mal als Erwerbspersonen (auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft). Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat kürzlich geschätzt, Deutschland verliere bis 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte und damit ein Siebtel des Arbeitsmarkts.
Wenn dann weiterhin zu viele Ersparnisse zu wenigen Investitionsprojekten hinterherjagen, sind niedrige Zinsen wiederum nicht so weit hergeholt.
Dr. Andreas Gontermann