Termine
12.07.2022
Seit mehr als einem Jahr wertet der Euro kontinuierlich gegenüber dem US-Dollar ab. Allein seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine Ende Februar ging sein Kurs um zehn Prozent zurück. Zuletzt wurde sogar ein 20-Jahres-Tief erreicht. Manche Analysten sehen die Parität bald gekommen. Dann gäbe es einen Euro für nur noch einen Dollar.
Die europäische Gemeinschaftswährung wurde 1999 eingeführt. Mittlerweile wird sie von insgesamt 19 Staaten geteilt. Als der Wert des Euro im Jahr 2000 deutlich unter einen US-Dollar gefallen war und so das Vertrauen in die neue Währung unterminiert zu werden drohte, griff die Europäische Zentralbank (EZB) mit Interventionen auf dem Devisenmarkt ein. Ab 2003 musste dann durchgehend bis heute mehr als ein Dollar pro Euro bezahlt werden, in weit mehr als der Hälfte der Jahre auch über 1,20 Dollar. Den vorletzten Tiefpunkt gab es im Januar 2017, als ein Euro für nur noch 1,034 Dollar zu haben war. In der aktuellen Schwächephase wurde diese Marke nun bereits gerissen.
Die gegenwärtige Schwäche des Euro dürfte mehrere Gründe haben. Zum einen ist sie sicherlich Spiegelbild einer derzeitigen Dollar-Stärke. In unsicheren Zeiten – Krieg in Osteuropa, Null-Covid-Strategie in China, fehlende Nahrungsmittel in Schwellenländern etc. – sucht internationales Kapital stets sichere Häfen. Hier ist der Dollar allererste Wahl, und diesmal machen ihm auch andere typische Krisenwährungen wie der Schweizer Franken oder der japanische Yen keine Konkurrenz.
Zweitens ist die Entwicklung der europäischen Einheitswährung wohl untrennbar mit der Frage der Energiesicherheit verbunden. Da es alles andere als einfach ist, russisches Gas kurzfristig durch andere bzw. alternative Quellen und Lieferanten zu ersetzen, wäre eine Rezession in Europa sehr wahrscheinlich, wenn keine Energie mehr aus Russland käme. Mit den bereits erfolgten Drosselungen oder gar kompletten Gaslieferstopps in mehrere Länder ist dieses Risiko nur weiter gestiegen.
Schließlich wird der Dollar dadurch begünstigt, dass die amerikanische Notenbank Fed ihre Geldpolitik schneller und stärker strafft, als die EZB das voraussichtlich tun wird. Je größer der Zinsunterschied zwischen den USA und dem Euroraum, desto attraktiver der Dollar für Investoren.
Eine ausgemachte Sache ist die Parität zwischen Euro und Dollar allerdings nicht, schon gar nicht auf Dauer. So haben zuletzt immer mehr Vertreter aus EZB-Direktorium und -Rat durchblicken lassen, dass Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation durchaus härter ausfallen könnten als bislang erwartet. Zudem könnte der Euro bei einem Kurs von einem US-Dollar oder darunter fundamental unterbewertet sein, sodass sich ausreichend Devisenhändler fänden, die es gar nicht erst so weit kommen lassen würden. Zuletzt stand die Gemeinschaftswährung unter 1,02 Dollar. Viel Sicherheitsabstand zur Parität ist da nicht mehr.
Dr. Andreas Gontermann