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25.10.2022
Covid-Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekosten und Inflation haben die Frage, welchen Pfad die Globalisierung künftig nehmen wird, bis zuletzt etwas in den Hintergrund gedrängt. Dabei lassen einige Gründe vermuten, dass sie in nächster Zeit eher einen langsameren Gang einlegen könnte.
Den Grad der weltwirtschaftlichen Integration misst man üblicherweise als Anteil aller globalen Ex- und Importe – von Gütern wie von Dienstleistungen – am wiederum globalen Sozialprodukt. Dieses Verhältnis hat wirtschaftsgeschichtlich seit jeher stark geschwankt.
So gab es eine erste Hochphase der Globalisierung zwischen etwa 1870 und dem Vorabend des Ersten Weltkriegs 1913. In diesem Zeitraum – der Phase der Industrialisierung – wuchs der Anteil der zusammengenommenen Ein- und Ausfuhren an der Weltwirtschaftsleistung von unter 18 auf fast 30 Prozent. Dabei vollzog sich der zunehmende internationale Handel vor allem in Endprodukten.
Bis Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 fiel die Verhältniszahl dann auf zehn Prozent zurück, und es dauerte tatsächlich bis Mitte der 1970er Jahre, also mehrere Jahrzehnte, bis sie wieder ihren Wert von 1913 erreichen konnte.
Die zweite Hochphase – vielmals auch als Hyperglobalisierung bezeichnet – fand zwischen den 1980er Jahren und dem Beginn der Finanzkrise statt. Von 1980 bis 2008 erhöhte sich der Anteil der Ex- und Importe am BIP sprunghaft, nämlich von unter 40 auf den bisherigen Spitzenwert von 61 Prozent. Seitdem ist er tendenziell wieder rückläufig. 2020 lag er bereits unter 52 Prozent und damit fast ganze zehn Prozentpunkte tiefer als kurz vor der Pleite von Lehman Brothers. Die Zeit der Hyperglobalisierung war im Übrigen insbesondere durch die Zunahme des Handels mit Vor- und Zwischenprodukten gekennzeichnet.
Warum die Chronologie? Weil sie zeigt, dass man nicht unbedingt davon ausgehen kann, die Globalisierung schreite einfach immer schneller voran. Drei Faktoren sprechen aktuell eher für eine Verlängerung der jüngsten Bremsspur.
Erstens ist da der arbeitssparende technologische Fortschritt, man könnte auch sagen: die Automatisierung. Sie macht Produktion in Hochlohnländern wieder rentierlicher. Das gilt umso mehr, wenn der Fortschritt in der industriellen Fertigungstechnik dabei (noch) schneller voranschreitet als der in der internationalen Transportlogistik.
Zweitens haben spätestens die chinesische Null-Covid-Politik sowie der russische Angriffskrieg in der Ukraine dafür sensibilisiert, wie wichtig die Vermeidung einseitiger Lieferabhängigkeiten ist, Stichwort: Widerstandsfähigkeit. Bereits das GATT-Abkommen, Vorläufer der WTO, hat am internationalen Handel teilnehmenden Ländern explizit das Recht eingeräumt, nationale Sicherheitsinteressen adäquat zu beschützen. Freilich war dieses Recht dann auch immer wieder Einfallstor für Protektionismus, was uns zum dritten Punkt bringt.
Viele der von der Trump-Regierung eingeführten Zölle etwa sind von der Biden-Administration bis heute nicht zurückgenommen worden. Sie dienten und dienen der Rückholung von Industriearbeitsplätzen nach Amerika. Auch das jüngste Klimapaket der USA enthält zahlreiche Buy-American-Klauseln. Andernfalls wäre es politisch kaum durchsetzbar gewesen. Nüchtern betrachtet heißt das aber auch: Hier wird mehr Klimaschutz erkauft mit mehr Protektionismus bzw. weniger Globalisierung.
Dr. Andreas Gontermann