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30.04.2020
Es wird wohl noch eine Zeitlang dauern, bis die wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Corona-Pandemie vollends abschätzbar sind. Aller Voraussicht nach werden die Einschnitte tiefer sein als in der Finanzkrise. Wie schlimm es werden wird, hängt vor allem davon ab, wie lange der Ausnahmezustand andauert. Ein (Rück-)Blick in die Wirtschaftsgeschichte liefert ein paar Anhaltspunkte.
Zunächst einmal sind extreme Wirtschaftseinbrüche in so manchen Schwellenländern durchaus an der Tagesordnung. In den Industrieländern sind sie aber ziemlich selten. Ein Beispiel aus der ersten Gruppe ist Libyen. Hier gab es seit 1980 zehn Jahre, in denen das Sozialprodukt um mindestens zehn Prozent fiel. Dagegen zeigt eine Analyse der Weltbank, dass es in der Gruppe der reichen Länder seit 1960 nur 13 Fälle gab, wo die jährliche Wirtschaftsleitung um mehr als fünf Prozent zurückging. BIP-Einbrüche um mehr als sieben Prozent gab es lediglich drei- und von mehr als zehn Prozent überhaupt nur einmal. Dabei kamen die meisten Einschläge rund um die 1973er Ölkrise, die 1997-98er Asienkrise und die jüngste Finanzkrise vor.
Forscher der niederländischen Universität Groningen sind sogar bis 1870 zurückgegangen. In den 18 untersuchten Industrieländern lassen sich seitdem gerade einmal 47 Fälle identifizieren, in welchen ein Land in einem Jahr um mehr als zehn Prozent geschrumpft ist. 42 der 47 Abstürze passierten zwischen 1914 und 1945, der Periode also, in die zwei Weltkriege und die Große Depression fielen.
Wie lange dauert es, bis sich eine Volkswirtschaft von einer Rezession erholt hat? Im Gesamtzeitraum seit 1870 brauchte es im Durchschnitt fünf Jahre, um nach einem BIP-Rückgang von mehr als zehn Prozent wieder auf das Vorkrisenniveau zu kommen. In der Periode seit 1960 nahm die Erholung in den reichen Ländern nach einem Sinken der Wirtschaftsleistung um mehr als fünf Prozent durchschnittlich vier Jahre in Anspruch. Allerdings unterscheiden sich die einzelnen Fälle teils erheblich. Mitunter verlief die Erholung sogar äußerst schnell.
Italien wuchs 1946 um 35 Prozent. 1949 hatte es die kriegsbedingten Einbrüche komplett aufgeholt. Die deutsche Wirtschaftsleistung sank zwischen 1944 und 1946 um zwei Drittel. In der Dekade darauf zog sie mit einer jahresdurchschnittlichen Rate von zwölf Prozent an. Südkorea stand bereits 1999 wieder besser da als Anfang 1997, bevor die Asienkrise über das Land kam. Dagegen lag das preisbereinigte Sozialprodukt Österreichs 1924 noch immer niedriger als vor dem ersten Weltkrieg. In Deutschland auch. Italien überfiel die Corona-Krise in einer Phase, in der sich das Land noch nicht wieder von der Finanzkrise erholt hat.
Nun wiederholt sich Geschichte in aller Regel nicht, und die Corona-Pandemie stellt eine so nie dagewesene Herausforderung dar. Trotzdem seien drei historische Muster erwähnt. Erstens, die Tiefe des Einschnitts hängt nicht zuletzt davon ab, ob und inwieweit die Institutionen eines Landes Schaden nehmen. Deutschland und Österreich waren nach dem verlorenen ersten Weltkrieg auch deshalb wirtschaftlich stärker gebeutelt als andere Volkswirtschaften, weil sie einen Zusammenbruch des Staates sowie eine Hyperinflation durchmachten. Das heißt: Je unbeschadeter die Institutionen die Krise überstehen, desto besser für den Aufschwung danach.
Zweitens, wirtschaftliche Einbrüche bedingen auch Risse im internationalen Handel und den globalen Liefer- und Produktionsketten. Je schneller diese wieder gekittet werden können, desto robuster die Erholung.
Und drittens kommt es stark auf die makroökonomische Wirtschaftspolitik an. Sie muss helfen, die Auswirkungen des Schocks abzufedern, und später die Stimuli für den Wiederaufschwung setzen. Mit ihren bis dato beispiellosen Rettungspaketen tun die Regierungen und Notenbanken aktuell genau das.
Dr. Andreas Gontermann