AMPERE 4.2020
Frank Stührenberg, Vorsitzender der Geschäftsführung von Phoenix Contact
Welche Rolle Industriemessen künftig spielen, wird angesichts schrumpfender Budgets und eingeschränkter Reisetätigkeit intensiv diskutiert. Frank Stührenberg, Vorsitzender der Geschäftsführung von Phoenix Contact, hat anstelle der Hannover Messe eine erfolgreiche digitale Veranstaltung durchgeführt – und plädiert trotzdem für eine Rückkehr zur Präsenz auf dem Messestand.
Noch Anfang März deutete sich nur an, was nicht mal zwei Wochen später schon das gesamte Wirtschaftsleben in Deutschland beeinflussen sollte: Die staatlich verordneten Maßnahmen gegen Covid-19 sorgten dafür, dass Unternehmen viele ihrer Mitarbeiter nach Hause schicken mussten, Videokonferenzen alltäglich wurden und Kollegen sich nur noch im Ausnahmefall treffen konnten. Auch bei Phoenix Contact in Blomberg – und an allen Standorten rund um die Welt – waren innerhalb kürzester Zeit nur noch die Produktionsmitarbeiter an den Maschinen vor Ort.
Nur wenige Wochen später stand die Hannover Messe vor der Tür. Als klar wurde, dass diese verschoben oder gar ausfallen würde, bekam ein interdisziplinäres Team in der Zentrale des global agierenden Marktführers für Komponenten und Systeme in der Elektrotechnik, Elektronik und Automation eine besondere Aufgabe. Die Marketing- und Kommunikationsexperten sollten gemeinsam mit Fachleuten aus den einzelnen Geschäftsbereichen eine digitale Messe entwickeln. Ein Kraftakt, doch es funktionierte: Ab dem 24. April loggten sich mehr als 8.100 nationale und internationale Besucher bei den Phoenix Contact Dialog Days ein, ließen sich auf einem virtuellen Messestand in acht Sprachen fast rund um die Uhr Produkte präsentieren, informierten sich in Expertenrunden, Interviews und Vortragsreihen und tauschten sich in Live-Chats mit den Mitarbeitern des Konzerns aus. Das Unternehmen zeigte sich kurz danach sehr zufrieden: „Die virtuelle Konferenz übertrifft die Erwartungen.“
Das bestätigt Frank Stührenberg auch noch Monate später. „Wir haben Menschen rund um die Welt erreicht“, sagt der CEO von Phoenix Contact, der davon ausgeht, dass die reale Veranstaltung das 15- bis 20-fache einer virtuellen Messe gekostet hätte. Was spricht dann dagegen, nur noch im Netz vertreten zu sein? Einiges, sagt der Manager. „Wir haben ein riesiges Portfolio mit mehr als 100.000 Produkten, die nur zum Teil Standardkomponenten, zum anderen Teil aber auch komplex, hochinnovativ und erklärungsbedürftig sind – und da ist der persönliche Austausch mit direktem Feedback immer noch der beste Weg.“ Jedes Jahr kommen ein paar hundert oder tausend neue Produkte hinzu. Ein gutes Dutzend davon führen das Unternehmen in neue Märkte und Technologiebereiche, erschließen weitere Branchen oder sind einfach State-of-the-Art-Technologien. „Diese Highlights präsentieren wir traditionell auf der Hannover Messe zum ersten Mal.“
Neben der Informationsvermittlung und der Sichtbarkeit geht es Stührenberg aber auch um etwas anderes, das sich virtuell nicht so gut zeigen lässt. „Wir leben von der gesamten Bandbreite von Kommunikation, dem gesprochenen Wort, der Wahrnehmung der Umgebung, dem Austausch mit dem Produkt in der Hand“, sagt der CEO, dessen Unternehmen auf mehr als 100 kleinen wie großen Messen rund um die Welt ausstellt.
Die Hannover Messe hat dabei einen besonderen Stellenwert für Phoenix Contact. „Wir verbinden sehr häufig den Besuch auf der Messe mit Führungen hier in unserem Stammhaus oder in unserem Standort in Bad Pyrmont.“ Warum das so wichtig ist? Weil das Unternehmen im harten Wettbewerb mit vielen anderen, auch internationalen Herstellern steht. „Manche unserer Kunden kennen von Phoenix Contact vielleicht nur einen bestimmten Produktbereich. Wir können ihnen hier zeigen, was wir alles können, wie hoch unsere Fertigungstiefe ist, welche Qualität wir produzieren und natürlich auch, wie groß wir sind.“
Aus Ländern außerhalb Deutschlands kommen zwischen 1.000 und 1.500 Teilnehmer zu den geführten Touren, zudem reisen Besucher in Verbindung mit Messebesuchen auch aus dem Inland an, manchmal mehr oder weniger spontan mit ihren Vertriebspartnern bei Phoenix Contact. Sie fühlen sich auf diesem Wege in das Unternehmen ein, spüren die Kultur, die Abläufe, die besonderen Stärken, da ist sich Stührenberg sicher.
Im Virtuellen ist das nicht so gut möglich, auch wenn die „Digital Days“ ebenfalls mit Emotionalisierung gearbeitet haben. „Wir haben nicht einfach nur Webinare ins Netz gestellt, sondern eine Veranstaltung mit einer eigenen Identität entwickelt.“ Auf der von einem Dienstleister gemieteten Plattform gab es einen virtuellen Eingangsbereich, in dem sich die Besucher registrieren konnten. Dazu kamen Messestände, die der Realität nachempfunden waren und auf denen Mitarbeiter live die Fragen der Besucher im Chat beantworteten, sowie Konferenzen, die zu bestimmten Zeiten starteten. Die digitale Messe hat auch geholfen, die Digitalisierung des Unternehmens zu beschleunigen. „Wir haben gesehen, was alles möglich ist. Bei uns ist seitdem immer häufiger das Zauberwort der ‚hybriden Veranstaltungen’ gefallen“, sagt der CEO, der sich für die Verknüpfung von Messen mit Digitalformaten ausspricht. „Wir werden das vorantreiben und aus beiden Welten das Beste nutzen.“
Text: Marc-Stefan Andres | Fotograf: André Walther
Dieser Artikel erscheint in der Ausgabe 4.2020 am 17. November.
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