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Heißes Eisen
Wie in vielen anderen Branchen steht die Künstliche Intelligenz auch in der Medizintechnik vor dem Durchbruch – oder wird sogar schon eingesetzt. Wird die Medizin deshalb weniger menschlich? Oder werden die Kranken computergestützt viel schneller und nachhaltiger gesund? Dr. Peter Schardt, CTO von Siemens Healthineers, bezieht klar Stellung.
Ein 85-jähriger Mann kommt mit Atemproblemen ins Krankenhaus. Ihm wird Blut abgenommen, die Lunge wird per Computertomografie untersucht. Die Diagnose des Arztes: Der Patient hat eine leichte Lungenentzündung, die mit einem speziellen Antibiotikum behandelt werden kann. Parallel hat eine angedockte Künstliche Intelligenz aber sämtliche Bilder mit Millionen von Aufnahmen aus dem Archiv verglichen. Bei der Auswertung entdeckt der Algorithmus eine leichte Verkalkung am Herzen. Das System schlägt dem behandelnden Arzt vor, auch auf dieses Krankheitsbild zu schauen.
So oder ähnlich könnten in Zukunft Untersuchungen ablaufen, wenn es nach Peter Schardt geht. Und das ist nur der Anfang: Für den CTO von Siemens Healthineers werden innovative Technologien die Medizin in zwei Bereichen entscheidend verändern: „Erstens wird Künstliche Intelligenz dabei helfen, Daten bei allen bildgebenden Verfahren, bei Vitalparametern wie Herzfrequenz, Blutdruck oder Körpertemperatur oder auch bei Blutentnahmen auszuwerten“, sagt der Physiker, der seit seiner Promotion im Siemens-Konzern arbeitet. „Und zweitens wird eine intelligente Robotik die Ärzte dabei unterstützen, die Menschen punktgenauer zu untersuchen und auch zu behandeln.“ Die Technologie wird vor allem dort eingesetzt werden, wo es um wiederholende Tätigkeiten geht, die präzise, reproduzierbar und sicher ausgeführt werden müssen. „Eine der großen Stärken des maschinellen Lernens ist, dass es Millionen Fälle analysieren kann – das kann kein Mensch leisten.“
Der Arzt wird dadurch also überflüssig? Nein, überhaupt nicht, kontert Peter Schardt, ohne ihn wird es niemals gehen. „Er ist die Instanz, die die Künstliche Intelligenz validiert, plausibilisiert und kontrolliert, damit sich zum Beispiel das Lernen der Algorithmen nicht in die falsche Richtung entwickelt“, sagt der Manager. Die Ärzte werden den Patienten auch weiterhin als empathische Vertrauenspersonen zur Seite stehen und die Krankheiten wie auch die möglichen Behandlungsschritte erklären. Und, wie in der breiten Öffentlichkeit durch Covid-19 deutlich wurde, auch für besonders schwierige Entscheidungen zuständig sein: „Bei der Diskussion etwa um die Triage kann und muss der Mensch auf ethischer Grundlage in der Führung bleiben – der Algorithmus kann nur mit Fakten unterstützen.“
Außerdem, und das ist Schardt ebenso wichtig, sind die Ärzte ja genau diejenigen, die die Künstliche Intelligenz erst einmal optimieren müssen. Bei Siemens Healthineers arbeiten weltweit rund 300 Menschen an entsprechenden Projekten, sagt der Manager. „Das sind Datenwissenschaftler, Programmierer und Computerspezialisten, aber eben auch Radiologen und andere Ärzte, die die Daten anreichern und die ärztliche Wirklichkeit als Trainingsgrundlage für den Algorithmus mit einbringen.“
In der Breite wird sich Künstliche Intelligenz erst dann schneller entwickeln können, wenn viele Menschen ihre Gesundheitsdaten für die Forschung öffnen, damit Behandlungsmethoden vorangetrieben werden können, ergänzt Schardt. Beispiele dafür gibt es schon genug, etwa in der Diabetes-Community, aus der viele Erkrankte die Ergebnisse ihrer Blutzuckermessung online teilen. „Das ist aber noch zu wenig, wobei die Angst der Menschen, zu viel preiszugeben, sehr verständlich ist. Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit, in der durch so etwas immer wieder ein Kontrollverlust entstehen kann. Das kann eine ablehnende Haltung erzeugen“, sagt Peter Schardt. Eine weitere Herausforderung sieht er auch in den Unterschieden in den drei großen Wirtschaftsräumen. „Um es ganz einfach zu sagen: In China zählt die Privatsphäre des Einzelnen weniger, wenn die Gesellschaft profitieren kann – aber das kann auch zu Missbrauch führen.“ Die US-Amerikaner hingegen gäben ihre Daten gerne freiwillig her – und die Europäer würden ihre Datensicherheit sehr hoch hängen. „Deswegen brauchen wir eine öffentliche Debatte zu dem Thema. Wir müssen viel mehr erklären, Zusammenhänge herstellen und natürlich die Daten sicher und nicht manipulierbar erheben und analysieren.“
Ein Weg dorthin könnte die in Deutschland Anfang 2021 eingeführte elektronische Patientenakte sein. „Wenn wir es hinbekommen, dass die Patienten einen transparenten Überblick erhalten und zum Beispiel einzelne Blutwerte oder CT-Bilder anonymisiert an die Forschung weitergeben könnten, wäre ein großer Schritt getan.“ Dann könne die Künstliche Intelligenz dabei helfen, bessere Gesundheitsleistungen auch für eine weltweit steigende Gesamtbevölkerung bieten zu können. „Das gilt erst recht in den Industrieländern, in denen die Menschen stetig älter und damit auch öfter krank werden“, sagt Schardt. „Hinzu kommt, dass es zum Beispiel in Deutschland immer weniger Nachwuchskräfte in Medizin und Pflege gibt. Deswegen ist es unbedingt nötig, die innovative Medizintechnik weiterzubringen.“
Text Marc-Stefan Andres | Fotografie Roderick Aichinger
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1+2.2021 am 3. Mai 2021 erschienen
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