Blick ins Labor

Roboter aus dem Homeoffice steuern

Spitzenforschung an Künstlicher Intelligenz, gepaart mit exzellenter Robotik, soll Gesundheitswesen und industrielle Produktion revolutionieren. Ein Institut der Technischen Universität München zeigt, was in Deutschland möglich ist. 

Empathie und Zuneigung darf man von GARMI nicht erwarten. Derlei Gefühlswallungen sind dem humanoiden Roboterassistenten fremd. Hilfreich ist er trotzdem. Die Maschine unterstützt Senioren im Alltag, etwa um den Tisch abzuräumen, die Zeitung vorzulesen, Türen zu öffnen, bei der Gymnastik zu helfen. Außerdem ist GARMI eine High-Tech-Schnittstelle zum Arzt: Durch die Ausstattung mit Messgeräten wie EKG und Ultraschall in Verbindung mit dem Einsatz von IoT-Sensoren können Ärzte aus der Ferne die Gesundheitswerte der betagten Patienten prüfen und überwachen.

GARMI ist einer der Hauptdarsteller des Projekts Geriatronics, das vom Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) der TU München gemeinsam mit Ärzten, Kliniken und Pflegeheimen in Garmisch-Partenkirchen vorangetrieben wird. „Künstliche Intelligenz und Robotik stehen vor einem technologischen Quantensprung“, sagt Maria Danninger, Cheftechnologin des Instituts. „Wir fragen uns: Wie können wir in Zukunft mit KI und Robotik unseren Alltag und unsere Arbeit einfacher, sicherer und auch produktiver erledigen? Und wie können wir die damit verbundene Technologie-Souveränität im Bereich maschineller Intelligenz in Deutschland und Europa behalten?“

Das Munich Institue of Robotics and Machine Intelligence bündelt die Expertise von 60 Lehrstühlen.

Die Antwort des MIRMI: Indem breite, dezidiert anwendungsorientierte Spitzenforschung vorangetrieben wird, über Fachdisziplinen hinweg, gemeinsam mit Partnern aus Politik, Industrie und der Start-up-Szene. Was das konkret heißt, lässt sich anhand des zweiten Großprojekts des MIRMI nachvollziehen, das im Sommer 2021 an den Start ging: die KI-Fabrik 2030. Der Plan lautet, in den kommenden acht Jahren in Bayern mehrere miteinander vernetzte Produktionsstandorte zu etablieren, an denen flexibel IT- und Mechatronik-Komponenten gefertigt werden. Das bayerische Wirtschaftsministerium investiert 15 Millionen Euro in das Vorhaben.

Vier Teilprojekte füllen das Unterfangen mit Leben: Erstens die Entwicklung feinfühliger Roboter und neuer KI-Algorithmen, um lernende Roboterwerkzeuge für Montagearbeiten hervorzubringen. Flexibilität und Sensitivität sind dabei entscheidende Stichworte. Die Maschinen sollen sich an den Menschen und sein Arbeitsumfeld anpassen – und nicht umgekehrt, wie es heute bei Industrierobotern der Fall ist, die starr ihrer Programmierung folgen. Mensch und Maschine sollen eine lernende Einheit bilden und sicher zusammenarbeiten. „Zweitens entwickeln wir Avatar-Portale für die Maschinenkontrolle und steuerung, um Roboter mithilfe von Virtual-Reality-Devices in Echtzeit aus dem Homeoffice zu steuern“, sagt Maria Danninger. Das Fachpersonal wird mit dem Eindruck, direkt vor Ort zu sein, seinen Aufgaben nachgehen, etwa bei gefährlichen Arbeiten oder wenn beispielsweise wegen einer Pandemie Kontaktbeschränkungen gelten.

Damit all das gelingt, bedarf es, und das ist Teilprojekt drei, einer übergeordneten Leitstelle für Künstliche Intelligenz, die gewissermaßen das Gehirn der K-Fabrik darstellt. „Hier laufen alle Fäden zusammen. Die Künstliche Intelligenz vernetzt alle Roboter, ermöglicht ihre Einsatzplanung und Rekonfiguration und überwacht und optimiert alle Schritte von der Bestellung über die Fertigung bis hin zum Vertrieb“, sagt Maria Danninger. Durch die digitale Vernetzung der Roboter über mehrere Standorte hinweg ist stets für alle Beteiligten das aktuellste Wissen um Abläufe und Strukturen in der Produktion abrufbar. „Ein Ziel lautet, auf diese Weise neue Produktideen zu realisieren, ohne dafür komplett neue Maschinen und Fertigungsstätten zu entwickeln oder Aufträge ins Ausland zu vergeben“, erklärt Maria Danninger. Produktionsprozesse könnten bereits ab Losgröße eins durch die zentrale KI rentabel geplant werden. 

So würde sich viertens die Tür öffnen, um „Production as as Service“ in die Tat umzusetzen. „Stellen Sie sich intuitiv zu bedienende Apps für Unternehmen und Endkunden vor“, sagt Maria Danninger. Damit könnten sehr unterschiedliche Produktionsaufträge an die Fabrik übermittelt und individuell angepasst werden. „Mindestabnahmemengen wären ebenso Geschichte wie die Entscheidung zwischen teurer, passender Individualproduktion und kostengünstigen Lösungen von der Stange.“ Die intelligente, „atmende“ und individuell fertigende Fabrik wäre Realität.

 

Text Peter Gaide | Foto TUM 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.+2.2022 am 17. Mai 2022 erschienen.



Erschienen in der Ausgabe 1.+2.2022

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