Der Beschleuniger
Mit dem von ihm gegründeten Start-up Luminovo will der Elektrotechniker Sebastian Schaal die Zeit zwischen Idee und Serienproduktion verkürzen.
ampere 3.2022
Report
Infrastrukturen für Bahn, Strom und Telekommunikation müssen unter allen Umständen funktionieren – auch während einer Naturkatastrophe oder im Verteidigungsfall. Doch in Deutschland besteht noch Nachholbedarf in Sachen Resilienz.
Eine nationale Katastrophe drohe für den Fall, dass in Deutschland längere Zeit der Strom ausfiele. Diese Feststellung des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit stammt aus dem Jahr 2008. Seitdem hat sich viel verändert. Zahlreiche Betreibende von Photovoltaikanlagen und Windrädern speisen ihren Ertrag heute in die Stromnetze ein. Die Versorgung ist dadurch dezentraler und resilienter geworden. Wie viel Strom sich aus erneuerbaren Energien gewinnen lässt, hängt allerdings vom Wetter ab. „Die Netzauslastung ist daher durch die Energiewende hochdynamisch geworden“, schreibt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Das Gleichgewicht im Netz ist schwieriger zu erhalten. Ohne einen Ausbau der Übertragungsnetze erzwingt diese Volatilität immer öfter steuernde Eingriffe der Netzbetreiber in den Betrieb der Infrastruktur. Das gelingt ihnen nur, wenn sie ihre Steuerungstechnik umfassend digitalisieren.
Zugleich erhöht die digitale Steuerungstechnik in Kraftwerken und Netzbetrieb das Risiko von Cyberangriffen. Hätten diese Erfolg, ließen sich IT-Systeme nicht abschalten, ohne einen Zusammenbruch der Versorgung zu riskieren. Denn der Ausfall eines Kraftwerks oder Netzbereichs kann durch Kaskadeneffekte zum Versagen anderer Teilsysteme führen und sich schlimmstenfalls zum flächendeckenden Blackout hochschaukeln. Damit das nicht passiert, fordern Fachleute, Stromnetze in inselbetriebsfähige Abschnitte aufzuteilen. Blackouts lassen sich dann eingrenzen. Funktionsfähige Teilnetze helfen auch, die flächendeckende Versorgung wiederherzustellen. Um den Inselbetrieb zu unterstützen, sollten zudem Mindestanforderungen an die Zahl und Kapazität der Speicherstrukturen in Netzen gesetzlich definiert werden, fordert die Akademie der Technikwissenschaften (acatech). Das könnte sich lohnen. Denn extreme Wetterereignisse können die Stromversorgung jederzeit unvorhergesehen unterbrechen.
Im März warnte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine zudem vor Angriffen auf Energieversorger. „Ein Cyberanschlag auf die deutsche Stromversorgung wäre jedoch technisch sehr aufwendig und bräuchte eine lange Vorbereitung“, beruhigt Dr. Matthias Schulze, stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Neben der Hürde, in spezialisierte, Computersysteme einzudringen, die nicht immer mit dem Internet verbunden sind, sei es für Angreifende sehr schwer, das notwendige Ingenieurswissen über die energietechnischen Systeme zu erlangen. Zumal Cyber-Kriminelle in eine Vielzahl von Systemen eindringen müssten, wenn sie die Versorgung in der Fläche und über lange Zeit unterbrechen wollen. Um das möglichst schwer zu machen, sollten Stromversorger die Operation Technology (OT) ihrer Anlagen getrennt von der Prozesssteuerung sowie ihrer IT aufbauen und absichern. Netzbetreiber sollten für jeden Netzbereich autarke Systeme aufsetzen, fordert auch acatech. So ließe sich die Funktion nicht betroffener Bereiche aufrechterhalten, wenn in einem anderen Netzteil die IT versagt.
Bei Eisenbahn-Stellwerken ist die Softwarelandschaft bereits derart vielfältig. Denn sie werden abhängig von ihrem Alter mit unterschiedlicher oder sogar ohne Software betrieben. „Deshalb ist ein Cyberangriff auch auf sie nur mit sehr großem Aufwand möglich, erfordert jahrelange Vorbereitung und erstklassige Kenntnisse der Technik, die angegriffen werden soll“, erklärt Dr. Lukas Iffländer, wissenschaftlicher Referent für Cybersicherheit am Deutschen Zentrum für Schienenverkehrsforschung. Wenn die Bundesregierung die Verkehrsleit- und Sicherungstechnik der Bahn wie geplant bis 2035 flächendeckend digitalisiert, geht dies aber zulasten des Schutzes, den die Heterogenität der technischen Systeme heute bietet. „Zum Ausgleich könnten die Sicherungsmaßnahmen dann heterogen ausgelegt werden“, schlägt Iffländer vor. Idealerweise sollten mehrere Dienstleister beauftragt werden, die Integrität der Daten in den Systemen unabhängig voneinander zu validieren.
Denn Schienennetze sind strategisch bedeutsame Infrastruktur, die während einer militärischen Eskalation vorrangiges Angriffsziel von Cyberattacken wäre. Physische Redundanzen im Schienennetz stünden dann kaum zur Verfügung. Das macht die Bahn auch anfällig für Naturkatastrophen wie Hochwasser – zumal viele Trassen durch Flusstäler oder wie an der Donau zwischen Straubing und Passau sogar durch Überschwemmungsgebiete führen. Klimaforscherinnen und -forscher rechnen damit, dass solche Katastrophen künftig zwei bis drei Mal öfter auftreten als bisher. Welche Probleme der Ausfall von Streckenabschnitten dann bereitet, zeigte die Sperrung der Trasse durch das Rheintal 2017. Züge von Frankfurt nach Zürich mussten damals über München und den Brenner fahren. Auf die im Elsass am Rhein entlangführende Strecke konnten deutsche Lokführende nicht ausweichen, da sie mit dem französischen Zugführungssystem nicht interoperabel sind.
Sowohl die Bahn als auch Stromerzeuger und Netzbetreiber sind beim Betrieb ihrer Systeme auf Telekommunikationsnetze angewiesen. Auf dem Land stockt zwar der Ausbau von Glasfasernetzen. Insgesamt entstehen bei dieser Infrastruktur derzeit aber Redundanzen. So baut OneFiber Interconnect entlang des 33.000 Kilometer langen Schienennetzes der Deutschen Bahn ein Glasfasernetz. Es ergänzt das Netz der Telekom, ist als Ring ausgestaltet und damit ausfallsicherer als punkt- oder sternförmige Verbindungen.
Die EU will zudem ein Sechs-Milliarden-Euro-Programm auflegen, das den Aufbau einer satellitenbasierten Kommunikationsinfrastruktur ermöglicht. Das soll Mitgliedsstaaten unabhängig von US-amerikanischen und chinesischen Betreibern interkontinentaler Internetkabel machen. Außerdem reduziert die EU die Gefahr, die von einem physischen Anschlag oder einer Naturkatastrophe für landgebundene Leitungen ausgeht. Weitere Sicherheit bringt in solch einem Fall der Mobilfunk. „Denn erfahrungsgemäß lässt sich die Funktion von Mobilfunknetzen nach Naturkatastrophen verhältnismäßig schnell zumindest rudimentär wiederherstellen“, erklärt Volker Strotmann, Leiter der Abteilung Einsatz beim Technischen Hilfswerk. In der Regel müssten nur die Basisstationen wieder mit Strom versorgt werden.
Ein Cyberangriff, der Telekommunikationsnetze stilllegt, ist dagegen wenig wahrscheinlich. „Wenn ein Staat über Backdoors in Netzwerktechnik eindringt, wird er diese Möglichkeit eher zu Spionagezwecken nutzen, als dazu, die Infrastruktur zu beschädigen“, erwartet Matthias Schulze von der SWP. Ein flächendeckender Stromausfall dagegen würde die Funktionsfähigkeit der Telekommunikationsinfrastruktur beeinträchtigen. Auch deshalb ist es wichtig, nicht nur diese, sondern auch die Strom- und Schienennetze auszubauen, dabei Redundanzen zu schaffen und kritische Infrastrukturen so resilienter zu machen.
Text: Gerd Mischler | Illustration: DesignCuts/ bloomua
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.2022 am 12. August 2022 erschienen.
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