Um Oberflächen galvanisch zu beschichten, werden metallische Werkstücke in einem Tauchbad unter Strom gesetzt. Die Technologie erfordert Temperaturen von bis zu 65 Grad Celsius – und damit wird es ganz schön warm in den Hallen. Die Lüftungen der Anlagen laufen rund um die Uhr; wenn sie ausfallen, steht auch die Produktion still. „Pro Tag kann bei uns dann schnell ein hoher Verlust entstehen“, sagt Volker Bibelhausen. „Wir müssen deshalb die Prozesse so gut wie möglich überwachen, damit wir schon vorher erkennen, wenn Verschleißteile an Motoren, Pumpen oder Getrieben an den Rand ihrer Lebensdauer geraten“, erklärt der CTO und Vorstandssprecher von Weidmüller, der auch Mitglied des ZVEI-Vorstands ist.
Das Unternehmen, das Produkte für die elektrische Verbindungstechnik und Elektronik herstellt, stattet dafür immer mehr Bauteile seiner Produktionsanlagen mit Messtechnik und Sensorik aus. Diese erheben Werte wie die Spannung und Ströme, Schaltzyklen oder die Betriebsstunden einer Anlage und andere Prozessgrößen. Die Daten werden in eine Software gespielt – das Automated Machine Learning, eine Eigenentwicklung – und dort analysiert. Künstliche Intelligenz hilft dabei, dass sich die Auswertungsalgorithmen weiterentwickeln und aus einem Abgleich von alten und neuen Fällen die Zukunft präzise voraussagen lässt. Die Prozessdaten können auch für viele weitere Anwendungen genutzt werden, um etwa die Lagerbestände und den Service zu optimieren, auf Basis historischer Daten Simulationen zu erzeugen und so auch Szenarien für die Geschäftsentwicklung durchzuspielen. „Wir schaffen mit einer weltweit einheitlichen IT-Plattform so einen digitalen Zwilling unserer Prozesse und Anlagen“, sagt Volker Bibelhausen.
Die Digitalisierung des eigenen Unternehmens sieht Volker Bibelhausen als klare Stärke im Wettbewerb an. „Wir sind eben nicht nur Anbieter, sondern auch Anwender.“ Die Kunden profitieren davon. Ein Beispiel: In Ostwestfalen probiert das Unternehmen gemeinsam mit Kommunen aus, wie Tiefbrunnen für das Trinkwasser überwacht werden können. „Wir können dabei helfen, dass die Techniker der Stadtwerke nicht von Brunnen zu Brunnen fahren müssen, um Zustände zu überprüfen.“ Mehr Planbarkeit, weniger Aufwand, höhere Verfügbarkeit, für Bibelhausen sind das entscheidende Argumente für die Digitalisierung, die sich auch für Weidmüller auszahlen: Das Wachstum im Bereich der digitalen Produkte ist zwei bis drei Mal so hoch wie das der konventionellen.
Den Ansatz seines Unternehmens beschreibt Bibelhausen als „explorativ“. Ziel ist, immer wieder neue Konzepte und Geschäftsmodelle zu entwickeln, im Softwarebereich zum Beispiel Pay-per-use-Lizenzen. Zudem forciert Weidmüller Lösungen, in denen klassische Produkte und komplexere Elektroniken kombiniert werden. „Wir erweitern Verbindungstechnologien mit Sensoren, um ein späteres Kabelziehen zu vermeiden. So können die Nutzer ihre Daten von Anfang an erheben und in der Cloud verfügbar machen.“
Nicht zuletzt zahlt die Digitalisierung auch auf den Klimaschutz ein, sagt der CTO. „Wir können viel Energie und andere Ressourcen sparen, wenn wir digitalisieren und ein Monitoring aufbauen – zehn Prozent sind da immer schnell erreicht.“ Ein weiteres Beispiel ist ein Weidmüller-Produkt, das den Zustand von Rotorblättern von Windkraftanlagen überwacht. Es erkennt, wenn diese vereist sind, schaltet die Anlage ab und erst nach dem Auftauen wieder an. „Dabei geht es vor allem darum, die Ausfallzeiten zu minimieren.“
Was im Kleinen gilt, ist auch im Großen wichtig. In allen Branchen ist die gesamte Wertschöpfungskette heute gefragt, die CO2-Emissionen herunterzufahren. „Betrachten wir die Gesamtkosten eines Produkts, kann es sich heute lohnen, ein Produkt für einen europäischen Kunden teurer in Deutschland zu produzieren, anstatt es mit hohem Transportaufwand und damit auch Treibhausgasausstößen um die halbe Welt zu schiffen“, sagt Volker Bibelhausen. Mit den digitalisierten Prozessen lassen sich diese Vergleiche bequem und zuverlässig simulieren. „Wir müssen umdenken – und die Digitalisierung hilft uns dabei, diese Prozesse zu verstehen.“