Kontinent der Chancen
Eine breit angelegte Kooperation aus Unternehmen und Organisationen engagiert sich in Marokko für den Ausbau der Elektro- und Digitalindustrie in Afrika.
ampere 1.2024
Unsere These:
Die EU ist ein Erfolgsmodell. Aber Sie kann noch mehr!
Briefing
Europa hat sich, seinen Bürgerinnen und Bürgern und seinen Unternehmen Fesseln angelegt – teils unnötig. Im internationalen Wettbewerb kommt es jetzt darauf an, die Bremsen zu lösen. Nur dann kann der Kontinent sein Potenzial voll entfalten. Und weltweit weiter auf Augenhöhe mitspielen
Die Idee klingt vielversprechend und lässt sich auf eine knackige Formel bringen: „One in, one out“. Gemeint ist damit der Grundsatz, neu eingeführte Belastungen auf EU-Ebene durch eine Verringerung bereits bestehender Belastungen im gleichen Politikbereich auszugleichen. Bis jetzt spüren die Unternehmen in der Europäischen Union allerdings nichts davon – ganz im Gegenteil: „Die Regulierungswut in Europa wird immer schlimmer“, konstatiert ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Nationale Normenkontrollrat in seinem Jahresbericht für 2023: „Die Bürokratiekosten allein der Wirtschaft betragen rund 65 Milliarden Euro pro Jahr. Hier besteht also weiterhin erheblicher Handlungsbedarf und großes Potenzial für Entlastungen.“
Mehr als 50 Prozent der Bürokratiekosten von Unternehmen werden durch EU- und internationales Recht verursacht. Was das in der Praxis bedeutet, zeigt sich zum Beispiel bei den Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung: 13 Standard-Regelwerke mit insgesamt rund 400 Seiten sollen Europas Unternehmen beachten. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen kommen angesichts solcher Berichts- und Nachweispflichten an ihre Grenzen – selbst wenn sie von einem neuen Gesetz angesichts ihrer Größe eigentlich gar nicht betroffen sein sollten (mehr dazu im Beitrag auf Seite 28).
All das spielt sich vor dem Hintergrund internationaler Unsicherheit, steigender Preise, fehlender Fachkräfte und wachsenden globalen Wettbewerbs ab. Will die EU als rohstoffarmer Kontinent auch in Zukunft eine Region des Wohlstands und der Stabilität sein, muss sie das kreative Potenzial ihrer Menschen und Unternehmen entfalten. Und das bedeutet: Sie muss endlich dort die Fesseln lösen, wo sie unnötig sind und nur Schaden anrichten. Sonst werden sich die wirtschaftlichen und politischen Gewichte weltweit immer mehr zugunsten anderer Ländergruppen wie den BRICS-Staaten verlagern (siehe dazu die Infografik auf Seite 18).
Weniger EU kann indes nicht die Antwort auf die aktuellen Herausforderungen sein. Denn in den vergangenen Jahrzehnten war die Europäische Union ein wesentlicher Treiber für Wachstum und Wohlstand in den Mitgliedstaaten. Und das kann sie auch bleiben: Nach einer Studie des Europäischen Parlaments könnte eine weitere Integration der Gemeinschaft bis 2032 zusätzliche 2,8 Billionen Euro an zusätzlichem Bruttosozialprodukt bewirken. Der Brexit zeigt umgekehrt, welche Folgen ein Austritt aus der EU hat: Pro Jahr kostet er die Unternehmen in Großbritannien rund 100 Milliarden Pfund.
Was also ist zu tun, um die EU wieder auf den richtigen Weg zu bringen? Aus Sicht des ZVEI gibt es unter anderem diese drei zentralen Aufgaben: Erstens: Der EU-Binnenmarkt muss weiterentwickelt und die Regulierungslast verringert werden. Zweitens: Europa muss seine Energieinfrastrukturen gemeinsam entwickeln und ein neues Strommarktdesign schaffen. Drittens: Das europäische Normungssystem muss weiterhin von den Stakeholdern getrieben werden (mehr dazu auf Seite 24).
Europa kann mehr. Man muss den Kontinent nur lassen. Und ihn mit pragmatischen Lösungsansätzen voranbringen.
Text: Christian Buck Illustration Mona Eing & Michael Meissner
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.2024 am 15. April 2024 erschienen.
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