Herr Dr. Kegel, wie steht Ihre Industrie dazu?
Kegel: Im Bereich der Automatisierungstechnik haben wir wichtige Kunden in der chemischen Industrie. Es wäre fatal für uns, wenn sie den Standort verlassen und beispielsweise nach China abwandern, weil sie dort für uns viel schwerer zu betreuen sind. Deshalb stellt sich schon die Frage, wie wir Energiepreise auf ein Niveau bringen, auf dem wir diese Industrien hier erhalten können.
Schularick: Aber ich denke, es ist jedem klar, dass beispielsweise die Flachstahlproduktion in Deutschland keine Wachstumsindustrie sein wird.
Kegel: Aber wenn sie abwandert, brauchen wir uns nicht einbilden, dass sie in Länder abwandert, in denen man klimagerechter arbeitet als hier.
Schularick: In sehr sonnenreichen Staaten ließe sich auch Stahl klimaneutral mit günstigem grünem
Wasserstoff produzieren.
Kegel: Das mag sein, aber die Kernfrage für uns ist doch, ob wir am Ende noch eine Standortstrategie haben, die für Deutschland passt und mit der wir unseren Wohlstand bewahren können. Wenn wir viele alte Industrien aufgeben, sind wir gezwungen, mit einer enormen Innovationskraft neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Ich will die Innovationskraft der deutschen Unternehmen nicht kleinreden, aber wir waren bisher immer spitze in der Detailverbesserung, in der Optimierung – und eben nicht darin, etwas ganz Neues zu schaffen.
Schularick: Aber das darf nicht dazu führen, dass wir – so wie es passiert ist – auf dem Weg in die Digitalisierung am Lenkrad einschlafen. Bei der KI sind wir inzwischen auch abgeschlagen, obwohl wir in der Wissenschaft durchaus führend sind. Wir schaffen es eben nicht, einen solchen Vorsprung in Geschäftsmodelle umzuwandeln und zu skalieren.
Kegel: Ja, das fällt uns schwer, und wir haben es im Zuge der Digitalisierung nicht geschafft, einen Hyperscaler hervorzubringen. Das werden wir auch nicht mehr schaffen. Aber in anwendungsspezifischen Bereichen haben wir mit digitaler Technik und auch mit KI durchaus gute Ausgangspositionen und Marktstellungen.
Sehen Sie vor dem Hintergrund der Standortdiskussion im Klimaschutz eher Chancen oder eher Risiken?
Schularick: Ich denke, wir haben gar keine Wahl. Wir müssen den Klimaschutz als Chance sehen. Der Klimawandel ist real, und wir haben uns im Übrigen in der Verfassung zum Klimaschutz verpflichtet. Und ich bin auch überzeugt, dass intelligente Klimatechnologien und Mobilitätskonzepte gute Exportchancen hätten. Aber dazu müssen wir Regulierungen abbauen und kräftig investieren, zum Beispiel in das Elektrizitätsnetz. Es wäre fahrlässig, jetzt zu sagen: Wir warten 15 Jahre, bis wir das aus laufenden Einnahmen finanziert haben. Wir werden das über Kredite finanzieren müssen.
Kegel: Ich sehe die größte Herausforderung für uns in Deutschland darin, Klimaschutz und Wohlstandserhalt so übereinander zu schieben, dass beides im Einklang miteinander steht. Hier geht es natürlich um die Frage, wie wir das finanzieren. Wir haben ausgerechnet, dass es sich um eine Größenordnung von 400 bis 600 Milliarden Euro handelt. Das können wir nicht einfach aus dem Haushalt abknapsen. Dann würden wir den sozialen Frieden riskieren.
Wo kann Deutschland Ihrer Ansicht nach in vier Jahren stehen, wenn Ihre Forderungen größtenteils umgesetzt werden?
Schularick: Das Positive ist – und das sage ich mit einem Augenzwinkern –, dass wir aktuell so weit hintendran sind, dass es gar nicht so viel Aufwand erfordert, wieder besser zu werden. Wenn wir jetzt vieles richtig machen, werden wir in vier Jahren immerhin wieder ein bisschen Wachstum von vielleicht einem Prozent haben und die großen Fragen in einer weniger aufgeheizten Stimmung lösen können.
Kegel: Ich sehe das genauso. Ich glaube, es gibt kaum ein Land, das so wie wir alle Möglichkeiten hat, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Nehmen wir die Digitalisierung des Staatsapparates: Die ist so schlecht, dass schon Kleinigkeiten eine signifikante Verbesserung bringen können. Letztlich geht es in der Wirtschaft immer auch um Psychologie. Auch simple Maßnahmen können Zeichen setzen, sodass wir am Standort Deutschland handlungsfähig werden und die Unternehmen wieder investieren.