Chefsache

„Deutschland kann das“

Deutschland steckt in einer schwierigen Phase. Hohe Energiepreise, ein Wust an Regularien und politische Unwägbarkeiten machen Unternehmen das Leben schwer. Für Philipp Steinberger, CEO von Wöhner und Mitglied im ZVEI-Vorstand, gibt es trotzdem viele Lichtblicke. 

Eine britische Publikation schrieb unlängst über Deutschland: „Once dominant, now in depression.“ Ist die Beschreibung zutreffend?
Sie ist leider nicht ganz falsch – aber auch nicht die völlige Wahrheit. Die Investitionsbereitschaft hat stark abgenommen und viele Unternehmen agieren vorsichtiger als je zuvor. Das ist ein Problem, weil fehlende Investitionen langfristig Wachstum und Innovation gefährden. Doch ich glaube, wir machen uns manchmal selbst unnötig klein. In anderen Ländern, etwa den USA, geht man anders mit Herausforderungen um: Man schaut auf die Chancen, nicht nur auf die Probleme.
 
Was läuft dort anders?
In den USA denkt man oft nicht so lange über Probleme nach, sondern handelt einfach – der sprichwörtliche Pragmatismus. Ein gutes Beispiel ist der Umgang mit Infrastrukturprojekten. Dort setzt man realistische Ziele, die dann konsequent umgesetzt werden. In Deutschland hingegen diskutieren wir zu lange und ändern häufig den Kurs. Ein Paradebeispiel ist die Diskussion um Erdkabel und Freileitungen. Erst wurden immense Mittel in Erdkabel investiert, dann hieß es plötzlich: „Wir kippen den Beschluss zum Erdkabelvorrang doch wieder.“ 

Wie wirkt sich das auf unternehmerische Entscheidungen aus?
Wir brauchen Planungssicherheit, besonders bei großen Investitionen. Wenn der politische Wind ständig wechselt, wird es schwierig, langfristige Projekte anzustoßen. Bei Wöhner ist das nicht anders. Wir überlegen sehr genau, wie wir unsere Ressourcen einsetzen. Und wenn wir unsicher sind, warten wir ab. Ich habe viel Kontakt zu anderen Unternehmen und das Credo ist immer gleich: Unsicherheit hält uns davon ab, mutige Entscheidungen zu treffen – und das bremst die gesamte Wirtschaft.

Apropos Bremse: Man hört viele Klagen aus Unternehmen über das Lieferkettengesetz. Ihre Meinung dazu?
Das Lieferkettengesetz hat eine gute Grundidee: Niemand möchte Produkte verwenden, die unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt wurden oder Umweltzerstörung verursachen. Doch in der Umsetzung wird es oft schwierig. Lieferketten sind komplex und es ist nicht immer möglich, bis zum letzten Glied alles lückenlos zu kontrollieren. Was bleibt, ist dann oft ein hoher bürokratischer Aufwand, der wenig zur Problemlösung beiträgt. Hier wäre es sinnvoller, mit Anreizen zu arbeiten und global Standards zu fördern, die umsetzbar sind.

Betrachten wir es einmal vom anderen Ende der Skala: Was stimmt Sie positiv, wenn Sie als CEO durch die Werkshalle von Wöhner gehen?
Zunächst einmal sehe ich dort unsere Mitarbeitenden. Ihre Kreativität, Loyalität und ihr Einsatzwillen sind die Basis unseres Erfolgs. Ohne sie geht nichts. Dann denke ich an unsere Eigentümerfamilie, die langfristig denkt und auch in schwierigen Zeiten bereit ist, in die Zukunft zu investieren. Das ist im Mittelstand nicht selbstverständlich. Und schließlich sehe ich viel Potenzial in unserem Markt. Strom ist das Rückgrat unserer Gesellschaft. Ohne ihn läuft nichts – weder in Rechenzentren noch in der Industrie. Wir sind also in einem Zukunftsmarkt unterwegs, und das gibt uns Stabilität und Perspektive.

Zukunft und Innovation sind Schlagwörter, die in keiner Talk-Show fehlen dürfen. Was bedeuten sie konkret für Sie?
Innovation ist ein, wenn nicht sogar der entscheidende Wettbewerbsfaktor für deutsche Unternehmen. Aber technologische Neuerungen entstehen nicht von allein – sie brauchen die richtigen Rahmenbedingungen. Das fängt bei der Bildung an. Unsere Schulen und Universitäten müssen stärker auf Themen wie Digitalisierung, KI und Nachhaltigkeit ausgerichtet sein. Gleichzeitig sollten wir uns fragen, ob Fördermittel sinnvoll eingesetzt werden. Ich habe oft das Gefühl, dass in „Hype“-Projekte investiert wird, während bestehende Stärken in den Regionen vernachlässigt werden.

Zum Beispiel?
Nehmen wir die Gründerzentren. Es ist natürlich wichtig, Innovationen zu fördern. Aber wir sehen oft, dass Regionen um jeden Preis ein eigenes Zentrum aufbauen wollen – selbst wenn es dort keine kritische Masse an Unternehmen oder Fachkräften gibt. Stattdessen könnten wir vorhandene Netzwerke und Stärken ausbauen. Das spart Ressourcen und erhöht die Effektivität.

Unsere Schulen und Universitäten müssen stärker auf Themen wie Digitalisierung, KI und Nachhaltigkeit ausgerichtet sein.

Die Energiewende war und ist ein weiteres großes Thema. Ist Deutschland hier auf dem richtigen Weg?
Die Energiewende ist richtig, das steht für mich außer Frage. Erst recht, wenn man den Blick weitet. Die Weltbevölkerung wächst und damit auch der Energiehunger. Wir können nicht so weitermachen wie in den vergangenen 50 Jahren. Bezogen auf die Energiewende heißt das: Die Idee ist gut, aber ihre Umsetzung oft chaotisch. Unsere Energiekosten haben sich in den vergangenen Jahren teilweise verachtfacht. Das führt dazu, dass Unternehmen sich mit Themen wie Strompreisabsicherung beschäftigen müssen, anstatt sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren. Energie muss planbar und bezahlbar sein – das ist die Grundlage für jedes wirtschaftliche Handeln.

Wie können die Energiepreise stabilisiert werden?
Zunächst einmal brauchen wir ein leistungsfähiges Stromnetz. Ohne eine moderne Infrastruktur können wir die wachsende Nachfrage durch erneuerbare Energien nicht decken. Gleichzeitig müssen wir Unternehmen belohnen, die in die richtige Richtung investieren. Statt Verbote auszusprechen, sollten wir Anreize schaffen. 

Wir brauchen kreative Lösungen, um Fachkräfte zu gewinnen, gerade auch aus dem Ausland.

Ein zusätzliches Hindernis für Unternehmen ist der Fachkräftemangel. Wie gehen Sie damit um?
Wir investieren viel in die Ausbildung und versuchen, junge Talente frühzeitig zu binden. Aber das allein reicht nicht. Der Arbeitsmarkt ist ausgedünnt und wir brauchen kreative Lösungen, um Fachkräfte zu gewinnen, gerade auch aus dem Ausland. Gleichzeitig müssen wir die Bedingungen in unseren Schulen und Universitäten verbessern. Es genügt nicht, ein paar Tablets zu verteilen – wir brauchen eine Infrastruktur, die digitales Lernen überhaupt ermöglicht, und Lehrkräfte, die darauf vorbereitet sind. Und ehrlich gesagt geht das Problem noch weiter: Ich kenne kaum eine Familie, die nicht Probleme damit hat, einen Kita-Platz zu finden oder unter dem Personalmangel in den Kitas leidet. 

Sie erwähnten gerade das Ausland. Welche Rolle spielt Europa heute und künftig für deutsche Unternehmen?
Europa war und ist enorm wichtig für uns. Und der Kontinent hat weiterhin ein großes Potenzial, das wir besser nutzen müssen. Unsere kulturelle Vielfalt ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Und das wissen wir doch auch alle! An einer engeren Zusammenarbeit, sowohl wirtschaftlich als auch politisch, geht kein Weg vorbei. Gleichzeitig sollten Wertschöpfungsketten stärker lokalisiert werden. Das macht uns resilienter und unabhängiger, gerade in Zeiten globaler Unsicherheiten.

Was nehmen Sie aus all dem für die Zukunft Deutschlands mit?
Deutschland hat alle Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein: Innovationskraft, starke Unternehmen und eine gut ausgebildete Bevölkerung. Aber wir müssen mutiger sein. Das bedeutet auch, klare Entscheidungen zu treffen und zügig umzusetzen, ohne sich in überbordender Komplexität zu verlieren. Für mich steht fest: Deutschland kann das.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Philipp Steinberger, geboren 1981, ist seit 2018 CEO der Wöhner GmbH & Co. KG in Rödental. Nach seinem Elektrotechnik-Studium sammelte er zunächst Erfahrungen in der Automobilindustrie, bevor er 2012 als Leiter der Produktentwicklung bei Wöhner einstieg. 2014 wurde er Geschäftsführer für Forschung und Entwicklung. In seiner Rolle als CEO möchte er insbesondere marktprägende Innovationen vorantreiben. Seit Sommer 2023 ist Steinberger auch Mitglied des ZVEI-Vorstands.

 

Text Peter Gaide | Bilder Dominik Gigler

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2025 am 24. März 2025 erschienen.



Erscheint in der Ausgabe 2025

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