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Den Netzausbau planvoll angehen

Um die Energiewende bis 2045 zu schaffen, ist noch viel zu tun. Wie groß die Herausforderungen für das Stromnetz sind, zeigt eine Studie im Auftrag des ZVEI (Verband der Elektro- und Digitalindustrie) und des BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft).

In den kommenden Jahren wird sich der Stromverbrauch in Deutschland verdoppeln bis verdreifachen, da immer mehr Haushalte mit Wärmepumpen heizen, der Verkehr auf E-Mobilität umgestellt wird und Industrieprozesse elektrifiziert werden. „Das bestehende Netz ist darauf aber nicht vorbereitet“, sagt Markus Zdrallek. „Die Kapazitäten reichen nicht aus. Viele Kabel sind für die heutigen Bedarfe zu schwach dimensioniert, und die meisten Transformatoren wurden bei ihrem Einbau vor 20 Jahren und mehr für ein völlig anderes Energiesystem ausgelegt“, erklärt der Professor am Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik der Bergischen Universität Wuppertal. „Ohne einen massiven Ausbau wird Deutschland seine Klimaziele bis 2045 nicht erreichen – die Netzbetreiber stehen vor einer Mammutaufgabe“, ergänzt Dr. Ing. Kevin Kotthaus, ebenfalls von der Universität Wuppertal. 

Die beiden Wissenschaftler haben im Auftrag von ZVEI und BDEW eine Studie durchgeführt, wie groß der Bedarf an Hochspannungsleitungen, Mittel- und Niederspannungskabeln sowie Transformatoren für die verschiedenen Spannungsebenen im Verteilnetz bis 2045 sein wird. Während viele bisherige Studien sich darauf konzentrierten, die Kosten für den Netzausbau zu berechnen, ging es hier um andere Fragen: Wie viele Kilometer Kabel müssen verlegt werden? Wie viele neue Transformatoren sind notwendig? Welche technischen Komponenten werden konkret benötigt?

Die Grundlage für die Berechnungen waren reale Netzdaten von über 100 Stadtwerken und Netzbetreibern in Deutschland. „Wir haben diese Daten auf das gesamte Bundesgebiet hochgerechnet“, sagt Zdrallek. Die Ergebnisse zeigen, dass Deutschland vor einem gewaltigen Bauprojekt steht, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. 

Während in der öffentlichen Debatte dabei oft die großen Übertragungsnetz-Projekte wie Nord-Süd-Leitungen im Fokus stehen, zeigt die Studie, dass der eigentliche Ausbaubedarf in den Städten und Kommunen liegt, erklärt Kotthaus. So müssen eine halbe Million Transformatoren für die Umspannung von der Mittel- auf die Niederspannung sowie 500.000 Kilometer neue Kabel verlegt werden – mehr als das 12-fache des Erdumfangs. Zudem sind 5.000 – das heißt 70 Prozent – aller Transformatoren für die Umspannung von der Hoch- auf die Mittelspannung zu schwach dimensioniert und müssen ersetzt oder verstärkt werden. Auch ohne die Ausweitung der erneuerbaren Energien wäre der Netzausbau übrigens nötig gewesen. Das deutsche Stromnetz hat an vielen Stellen seine Lebensdauer erreicht – bis zu 50 Prozent der ermittelten Bedarfe entstehen durch einen altersbedingten Austausch. Der Neu- und Umbau kommt also zur richtigen Zeit. 

„Besonders betroffen sind dabei dicht besiedelte Regionen, in denen die Nachfrage nach Strom für Ladestationen, Wärmepumpen und industrielle Prozesse stark wächst“, sagt Kotthaus. In den kommenden 20 Jahren müsse so im Schnitt jede zweite Straße in Deutschland ausgehoben werden, um neue Kabel zu verlegen, verdeutlicht Zdrallek, wie umfangreich die Arbeiten sein müssen. Der notwendige Netzausbau wird auf rund 120 Milliarden Euro berechnet, allein auf der Verteilnetzebene. Die Herausforderungen für die Netzbetreiber sind groß: Sie müssen ihre Planungs- und Bautätigkeiten verstärken – und das in einer Situation des Fachkräftemangels. 

Die Studie der Bergischen Universität wird dabei helfen, weil die Hersteller nun die Bedarfe gut abschätzen können. Außerdem bieten sich für mehr Effizienz bei den Tiefbauarbeiten übergreifende Abstimmungen an. Auch bei Wasser/Abwasser, Glasfaserausbau und weiteren Infrastrukturaus-, -neubau und -umbau stehen in den kommenden Jahren vielerorts Maßnahmen an, die sich synchronisieren lassen. Mit einem planungssicheren Rahmen seitens der Politik, den sowohl die Unternehmen als auch die Verbände fordern, wird der Netzausbau erfolgreich umgesetzt werden können. Dabei entsteht nicht nur ein zukunftssicheres Netz, sondern auch eine hohe Wertschöpfung in den einzelnen Regionen Deutschlands

 

Text Marc-Stefan Andres | Illustration ZVEI/Barbara Geising

 

Dieser Artikel ist Teil der Ausgabe 2025, die am 24. März 2025 erscheint.


Erscheint in der Ausgabe 2025

Den Netzausbau planvoll angehen

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