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Der Kreis schließt sich

Viele ZVEI-Mitgliedsunternehmen engagieren sich stark für nachhaltige Produkte und Prozesse. Die Beispiele Lapp Group, Wago, MTM Ruhrzinn und Zollner zeigen, wie viel sich mit Kreislaufwirtschaft erreichen lässt

Wie modernisiert man ein Traditionsprodukt, das seit fast 70 Jahren unverändert verkauft wird? Vor dieser Mammutaufgabe stand Silvia Lajewski im Juni vergangenen Jahres: Die 32-jährige Kunststofftechnikerin war gerade von der Universität zur Lapp Group nach Stuttgart gewechselt. Dort soll sie nun dabei helfen, eine nachhaltigere Version der Steuerleitungen, für die Lapp bekannt ist, zu entwickeln. Man will weniger fossile Rohstoffe verbrauchen und die Klimabilanz verbessern. Für Lajewski im Prinzip ein Heimspiel: Sie hat sich schon während ihrer Promotion auf sogenannte Biokunststoffe spezialisiert, die nicht aus Öl, sondern aus nachwachsendem Material hergestellt werden.

Zusammen mit dem Team von Lapp macht sie sich auf die Suche nach einem passenden Lieferanten – und wird fündig. „Wir können einen Compound (Verbundstoff, d. Red.) nutzen, der zu 43 Prozent biobasiert hergestellt wird“, freut sich Lajewski. Ein erstes Bioprodukt, ein Netzwerkkabel für die schnelle Übertragung analoger und digitaler Signale, ist gerade in Serie gegangen.Der Kunststoff für die Ummantelung wird zum Teil aus Maisstärke gewonnen. So schrumpft der CO₂-Fußabdruck des Mantelmaterials fast um ein Viertel, da die Maispflanze beim Wachsen der Atmosphäre Kohlenstoff entzieht.

Mehr Material aus biologischen Quellen oder Recycling verwenden – das steht bei vielen Elektronikunternehmen derzeit ganz oben auf der Agenda. Dabei ist die Ausgangslage besser als in vielen anderen Branchen. „Die Elektronikindustrie eignet sich besonders gut für die Umsetzung zirkulärer Geschäftsmodelle“, hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC vergangenes Jahr in einer Studie festgestellt. Die Unternehmen könnten ihre Treibhausgasemissionen bis 2025 um rund 10 Prozent und ihre Kosten um zwölf Prozent senken, wenn sie auf Kreislaufkonzepte setzten, so die Experten.

Beim Mindener Unternehmen Wago arbeitet man mit Hochdruck daran. Der Mittelständler ist Spezialist für elektronische Verbindungs- und Automatisierungstechnik und hat seinen „Klassiker“, die Verbindungsklemme der Serie 221, unlängst in einer nachhaltigeren Version vorgestellt. Der Hebel zum Öffnen besteht zu 27 Prozent aus alten Einweg-PET-Flaschen, die durch sogenannte Depolymerisation aufgearbeitet werden. Dadurch entsteht Kunststoff, der qualitativ Neuware entspricht. „Das ist wichtig! Bei einer vorgegeben Belastbarkeit von 450 Volt und 32 Ampere darf man keine Abstriche bei der Qualität machen“, betont Meike Beinstroh, Produktportfoliomanagerin bei Wago. Die junge Wirtschaftsingenieurin hat das Projekt „Grüne Verbindungsklemme“ zusammen mit ihrer Kollegin Sina-Marie Kluß auf die Beine gestellt.

Im Isolationsgehäuse der Klemme stecken 77 Prozent „biozirkuläre“ Rohstoffe. Das bedeutet, die Kohlenstoffketten für das Plastik werden nicht aus Rohöl, sondern aus industriellen und Haushaltsreststoffen gewonnen – zum Beispiel aus altem Speiseöl oder Tallöl, einem Nebenprodukt der Papier- und Forstindustrie. So verwandeln sich Reststoffe in ein makelloses transparentes Gehäuse. „Zu sehen, dass das möglich ist, war ein echter Wow-Moment“, begeistert sich Beinstroh.

Nicht nur bei Kunststoffen sucht die Elektronikbranche nach Kreislauflösungen. „Wir haben vor zehn Jahren gemerkt, dass es einen Optimierungsbedarf bei der Rückführung von Lotabfällen zurück in den Rohstoffkreislauf gibt“, sagt Dan Mutschler, Gründer und Geschäftsführer von MTM Ruhrzinn. Die Essener Firma hat für die Elektronikbranche eine neue Rundum-Dienstleistung entwickelt: Sie sammelt bei den Herstellern zinnhaltige Abfälle ein, die in der Produktion anfallen, bewertet und bestimmt die Inhalte und sorgt für die sogenannte „Vorbereitung zur Wiederverwertung“, wie es im Gesetz heißt. Einfach gesagt: Aus altem Zinn wird neues Zinn, Recyclingprozesse werden eingespart und somit effiziente Rohstoffkreisläufe gesichert. Dieses Sekundärmaterial schont das Klima: Wird Lotpaste aus Primärzinn hergestellt, fallen 38,5 Kilogramm CO₂-Äquivalente an, beim Recycling nur 3,3 Kilogramm. Solche Zahlen überzeugen immer mehr Elektronikfirmen. „Unsere Dienstleistung erfreut sich großer Beliebtheit“, berichtet Firmengründer Mutschler.

Für einen Betrieb, der Lotabfälle in den Kreislauf einspeist, ergibt sich ein zusätzlicher Vorteil: Er erhält über die CO₂-Einsparung ein Zertifikat, das er in seiner Klimabilanz verrechnen kann. Werden zum Beispiel 100 Kilogramm Lötdraht (Sn99Cu) recycelt, spart das 1.283 Kilogramm CO₂-Äquivalente ein – das entspricht vier Flügen von Düsseldorf nach London. „Auf diese Weise müssen die Kunden die Emissionen nicht an anderer Stelle ausgleichen“, erklärt Mutschler. Mit diesem Angebot hat MTM Ruhrzinn den diesjährigen „Electrifying Ideas Award“ des ZVEI in der Kategorie „Etablierte Unternehmen“ gewonnen. Als nächste Dienstleistung will MTM Ruhrzinn die Zertifikate in einer Blockchain speichern. So können sich die Hersteller sicher sein, dass die CO₂-Einsparungen nicht an anderer Stelle aus Versehen erneut bilanziert werden.

Auch der EMS-Dienstleister Zollner will CO₂ einsparen. Das Unternehmen fertigt beispielsweise für einen Kunden bereits ein hochautomatisiertes High-Volume-Produkt in Deutschland für den europäischen Markt und will dafür den Einsatz von Leiterplatten aus natürlichen Cellulosefasern testen, die aus landwirtschaftlichen Abfällen und Nebenprodukten gewonnen werden. „Diese Biokomposite-Platinen enthalten keine Chemikalien, wie sie in herkömmlichen Glasfaser- und Epoxy-Platinen eingesetzt werden“, sagt Markus Aschenbrenner, Mitglied des Vorstands der Zollner Elektronik AG. „Dank einer Reduktion der CO₂-Emissionen um 98 Prozent wären sie ein echter Gewinn für die Umwelt.“

Um seinen ökologischen Fußabdruck und den seiner Kunden weiter zu verringern, setzt Zollner seit geraumer Zeit auf den „Local-for-Local“-Ansatz: Die Produktion findet weltweit an 24 Standorten nahe bei den Kunden statt, wodurch viele Transportwege entfallen. „Neben zahlreichen anderen Maßnahmen gestalten wir unsere Energieversorgung kontinuierlich nachhaltiger, indem wir unsere Energieeffizienz durch fortschrittliche Technologien optimieren und erneuerbare Energiequellen nutzen“, so Aschenbrenner. „Bereits seit 2008 ist in Vác, Ungarn, eine Hackschnitzelheizung mit einer Leistung von 500 kW im Einsatz. Am Hauptwerk Zandt entsteht ein noch größeres Hackschnitzelheizwerk mit einer Feuerungswärmeleistung von 2,4 Megawatt.“ Ebenfalls in Zandt betreibt Zollner eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von rund 500 kWp. Sie produziert ungefähr 360.000 kWh Strom pro Jahr, der komplett für den eigenen Verbrauch genutzt wird.

Doch so schlüssig diese Ansätze auch klingen – der Weg hin zu mehr Energieeffizienz oder zur Kreislaufwirtschaft ist oft steinig. Für viele erdölbasierte Kunststoffe zum Beispiel gibt es noch keine klimafreundlicheren Alternativen mit identischen Eigenschaften. In PVC etwa lässt sich nur ein Teil der Inhaltsstoffe durch nachwachsendes Material ersetzen. „Dadurch ändern sich die Parameter bei der Verarbeitung“, erklärt Kunststoffexpertin Lajewski von Lapp. Die Temperatur muss angepasst werden, außerdem die Geschwindigkeit, mit der ein Kabel extrudiert, also gepresst, wird. Nicht zuletzt kosten biobasierte Kunststoffe mehr. „Weil die Produktionsprozesse noch nicht so ausgereift sind“, begründet Lajewski.

Auf recycelte Kunststoffe aus Post-Consumer-Abfall kann oft nicht zurückgegriffen werden, weil die Elektronikbranche für ihre anspruchsvollen Anwendungen Material braucht, das Neuware entspricht und zertifizierbar ist. Um Kunststoffabfälle auf dieses Niveau zu bringen, ist ein aufwendiges chemisches Recycling nötig, was wiederum viel Energie verbraucht, zum Beispiel, weil der Müll zunächst erhitzt werden muss. „Das ist ein Konflikt“, gibt Sina-Marie Kluß von Wago zu. Eine Lösung könne sein, in Zukunft überschüssigen Solarstrom fürs Recycling zu verwenden. „So ließe sich Sonnenenergie in Öl speichern.“

Hinzu kommt, dass beim Umstieg auf neue Materialien oft auch neue Zertifizierungen notwendig sind. Das musste Wago bei der Entwicklung der grünen Verbindungsklemme erfahren. Um im Gehäuse biozirkuläre Rohstoffe, etwa aus Altfett, verwenden zu können, ist eine Zertifizierung nach dem „International Sustainability and Carbon Certification System“ (ISCC PLUS) nötig. Dieses System verlangt, dass ein Hersteller umfangreiche Daten zu Materialströmen zur Verfügung stellt, die dann in Audits überprüft werden. Für das Elektronikunternehmen Wago bedeutete das, plötzlich Vorgaben aus der Chemieindustrie erfüllen zu müssen. „Dieser Punkt hat uns herausgefordert“, räumt Managerin Beinstroh ein.

Aufgeben kommt für sie und andere Pionierinnen allerdings nicht infrage. Für den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft brauche es „Geduld und ein dickes Fell“, sagt Biokunststoffexpertin Lajewski von der Lapp Group. Es gebe immer Leute, die auf den Messestand kommen und sagen „Das klappt nie“. „Aber irgendwo muss man ja anfangen.“

 

Text Constantin Gillies | Bilder iStockphoto / Oleksandra Troian, shutterstock / wacomka

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.2024 am 14. Oktober 2024 erschienen.



Erschienen in der Ausgabe 2.2024

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