Das ist auch deshalb unverzichtbar, weil die Ärztinnen und Ärzte oder das Krankenhaus für Behandlungen haften müssen. „Eine KI kann nicht den ganzen Menschen sehen, sondern nur auf die Werte zurückgreifen, mit denen sie gefüttert wurde“, erklärt Diehl. So würden etwa psychische Aspekte nicht berücksichtigt: „Ist der Patient motiviert und nimmt die Anweisungen der Ärztin an? Ist er kritisch oder geknickt? Ist er zuhause gut versorgt, kann er entlassen werden?“, nennt sie einige Fragen. Die Antworten darauf sollen das unerlässliche Gesamtbild ergeben.
In welchen Bereichen die KI in Zukunft helfen kann, soll auch das Projekt SmartHospital.NRW herausfinden, das Diehl leitet. Beteiligt sind neben dem Universitätsklinikum Essen jeweils zwei Fraunhofer-Institute, Hochschulen und Unternehmen. Das Projekt kann in Essen auf Europas größten Datenpool im modernen Standard „Fast Healthcare Interoperability Resources“ (FHIR) zurückgreifen, erklärt Diehl, die zudem eng mit dem klinikumseigenen Institut für KI in der Medizin (IKIM) zusammenarbeitet, das mittlerweile sechs Professuren hat. Eine Grundvoraussetzung, um die Daten für die Forschung nutzen zu können, ist die Interoperabilität. Die Universitätsmedizin Essen hat dafür eine eigene Plattform aufgebaut, die auf den FHIR-Standard setzt. „Nur so können wir das Material für die KI vergleichbar machen, um damit wiederum alle Klinikbereiche einzubeziehen“, sagt Diehl. Gerade bei den Daten sieht sie allerdings auch eine der größten Herausforderungen: „Die KI ist unter anderem auf Datensätze aus Studien trainiert. Diese beziehen die Vielfalt der Patientinnen und Patienten noch nicht so ein, wie es sein sollte – da erlebt die Medizin generell gerade einen Veränderungsprozess.“
Auch in der Pflege sieht die Expertin großes Potenzial und gleichzeitig den Bedarf, genau hinzuschauen. Das Team des Smart-Hospital-Projekts arbeitet zum Beispiel an einem Chatbot, der direkt am Krankenbett mit den Patientinnen und Patienten kommunizieren soll. „Die Pflegekraft oder auch die ärztliche Runde bekommt die Ergebnisse und kann sich voll auf die Patientin oder den Patienten konzentrieren“, sagt Diehl. Die Fortschritte sind groß, seitdem es Large Language Models wie ChatGPT gibt. „Wir haben große Mengen an Vorwissen implementiert und können zudem mit menschlicher Sprache interagieren. Gleichzeitig müssen wir aber aufpassen, wie wir die Sprachassistenzsysteme trainieren, um kein Ungleichgewicht etwa zwischen tiefen männlichen und höheren weiblichen Stimmen zu erzeugen.“ Auch bei der Unterstützung der Arzneimitteltherapie durch KI stellt die Medizinerin die Grenzen klar: „Wir können zwar Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten besser bewerten, aber eine KI darf niemals die ärztliche Tätigkeit übernehmen oder etwa Medikamente verordnen.“