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ampere 2.2024
Heißes Eisen
Die Rolle von Künstlicher Intelligenz – von Machine Learning bis zu Large Language Models – wird in der Medizin deutlich zunehmen, sagt Dr. Anke Diehl. Als Chief Transformation Officer und Leiterin der Stabsstelle für Digitale Transformation an der Universitätsmedizin Essen gestaltet sie eine Entwicklung mit, die große Chancen bietet, die Branche aber auch vor Herausforderungen stellt.
Kraftlosigkeit im Arm und Taubheitsgefühle: Die Symptome der Patientin könnten auf einen Schlaganfall hinweisen. Um herauszufinden, ob das stimmt und ob die Situation lebensbedrohlich ist, ordnet die Ärztin in der Notaufnahme eine Computertomographie an. Bei dem Verfahren kann sie das Gehirn und dessen Durchblutung beurteilen. Hier kommt KI ins Spiel: Innerhalb von Sekunden vergleicht das System die Bilder der Patientin mit Tausenden von Vergleichsaufnahmen. Die KI gibt Entwarnung – und die Ärztin bestätigt das Ergebnis.
Die Technologie hat geholfen – und wenn es nach Anke Diehl geht, wird KI die Gesundheitsbranche an vielen Stellen verändern. „Wir nutzen schon heute Hunderte KI-Anwendungen in der Medizin, die zum Beispiel schnellere und genauere Diagnosen ermöglichen“, sagt die promovierte Ärztin. Diehl arbeitet als Chief Transformation Officer und Leiterin der Stabsstelle für Digitale Transformation an der Universitätsmedizin Essen, wo sie „die Brücke zwischen dem medizinischen Personal und der IT schlagen soll“. Der Einsatz von KI steht im Fokus ihrer Arbeit. „In der Radiologie ist die Hilfe durch die KI enorm wertvoll, weil auch Ärztinnen oder Ärzte manchmal überarbeitet, müde oder einfach nicht so aufmerksam sind. Die KI hingegen ist unermüdlich und verringert die Fehlerquote“, sagt Diehl. „Ebenso wichtig ist aber auch, dass immer der Mensch die Entscheidung trifft, ob diese Ergebnisse richtig sind und wie weiterverfahren wird.“
Das ist auch deshalb unverzichtbar, weil die Ärztinnen und Ärzte oder das Krankenhaus für Behandlungen haften müssen. „Eine KI kann nicht den ganzen Menschen sehen, sondern nur auf die Werte zurückgreifen, mit denen sie gefüttert wurde“, erklärt Diehl. So würden etwa psychische Aspekte nicht berücksichtigt: „Ist der Patient motiviert und nimmt die Anweisungen der Ärztin an? Ist er kritisch oder geknickt? Ist er zuhause gut versorgt, kann er entlassen werden?“, nennt sie einige Fragen. Die Antworten darauf sollen das unerlässliche Gesamtbild ergeben.
In welchen Bereichen die KI in Zukunft helfen kann, soll auch das Projekt SmartHospital.NRW herausfinden, das Diehl leitet. Beteiligt sind neben dem Universitätsklinikum Essen jeweils zwei Fraunhofer-Institute, Hochschulen und Unternehmen. Das Projekt kann in Essen auf Europas größten Datenpool im modernen Standard „Fast Healthcare Interoperability Resources“ (FHIR) zurückgreifen, erklärt Diehl, die zudem eng mit dem klinikumseigenen Institut für KI in der Medizin (IKIM) zusammenarbeitet, das mittlerweile sechs Professuren hat. Eine Grundvoraussetzung, um die Daten für die Forschung nutzen zu können, ist die Interoperabilität. Die Universitätsmedizin Essen hat dafür eine eigene Plattform aufgebaut, die auf den FHIR-Standard setzt. „Nur so können wir das Material für die KI vergleichbar machen, um damit wiederum alle Klinikbereiche einzubeziehen“, sagt Diehl. Gerade bei den Daten sieht sie allerdings auch eine der größten Herausforderungen: „Die KI ist unter anderem auf Datensätze aus Studien trainiert. Diese beziehen die Vielfalt der Patientinnen und Patienten noch nicht so ein, wie es sein sollte – da erlebt die Medizin generell gerade einen Veränderungsprozess.“
Auch in der Pflege sieht die Expertin großes Potenzial und gleichzeitig den Bedarf, genau hinzuschauen. Das Team des Smart-Hospital-Projekts arbeitet zum Beispiel an einem Chatbot, der direkt am Krankenbett mit den Patientinnen und Patienten kommunizieren soll. „Die Pflegekraft oder auch die ärztliche Runde bekommt die Ergebnisse und kann sich voll auf die Patientin oder den Patienten konzentrieren“, sagt Diehl. Die Fortschritte sind groß, seitdem es Large Language Models wie ChatGPT gibt. „Wir haben große Mengen an Vorwissen implementiert und können zudem mit menschlicher Sprache interagieren. Gleichzeitig müssen wir aber aufpassen, wie wir die Sprachassistenzsysteme trainieren, um kein Ungleichgewicht etwa zwischen tiefen männlichen und höheren weiblichen Stimmen zu erzeugen.“ Auch bei der Unterstützung der Arzneimitteltherapie durch KI stellt die Medizinerin die Grenzen klar: „Wir können zwar Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten besser bewerten, aber eine KI darf niemals die ärztliche Tätigkeit übernehmen oder etwa Medikamente verordnen.“
Eine der größten Herausforderungen ist für Diehl die Durchgängigkeit der Systeme. Die Dokumentation einer Erkrankung beginnt zumeist beim Hausarzt, oft folgen Fachpraxen, bevor eine Patientin oder ein Patient im Universitätsklinikum Essen ankommt. „An diesen Stellen gibt es überall Datenpunkte, die wichtig für die Behandlung wären“, sagt Diehl. „Uns fehlt aber der Zugang zu diesen Daten. Mit der elektronischen Patientenakte (ePA) könnte sich das ab 2025 bessern.“
Für die Zukunft sieht die Transformationsmanagerin eine weitere Herausforderung im Umgang mit KI, die sie am Beispiel der Radiologie verdeutlicht: „Wer heute Fachärztin für Radiologie werden möchte, muss zigtausend Aufnahmen gesehen und verglichen haben. Wenn wir alles die KI machen lassen, entwickelt sich dieser Blick nicht mehr – und damit wird die Plausibilitätskontrolle auch schwierig.“ Die große Aufgabe sei, einen Weg zu finden, wie KI und ärztliches Wissen bestmöglich verknüpft werden, sagt Diehl. „Nur so können wir die Medizin für die Menschen besser machen.“
Text Marc-Stefan Andres | Bilder Selina Pfrüner
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.2024 am 14. Oktober 2024 erschienen.
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