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Energiewende am Kaspischen Meer

Aserbaidschan setzt auf grüne Energien und mehr Energieeffizienz. Das eröffnet auch der deutschen Elektro- und Digitalindustrie Chancen.

Bis 2040 könnten vor der Küste Aserbaidschans Windkraftwerke mit einer Gesamtkapazität von sieben Gigawatt (GW) installiert werden. Das wirkt im Vergleich zu Deutschland mit 69 GW installierter Gesamtleistung zwar bescheiden – würde aber genügen, um ein Drittel des inländischen Strombedarfs zu decken. Die Weltbank hat die Chancen in einer Roadmap ausgelotet: Bis 2040 könnten vor der Küste Windkraftwerke mit einer Gesamtkapazität von sieben Gigawatt (GW) installiert werden. „Das größte Potenzial Aserbaidschans für erneuerbare Energien liegt in der Offshore-Windenergie“, sagt auch John M. Roberts, Energieexperte beim Atlantic Council im Interview mit dem Informationsdienst „Caucasus Watch“. Das lockt bereits Kapitalgeber an, vor allem aus dem Nahen Osten. Die saudi-arabische Investmentgesellschaft ACWA etwa will in der Kaukasusrepublik Windparks mit 2,5 GW Leistung und ein Batterie-Speichersystem mit 200 Megawatt Kapazität errichten.

Aber auch als Solarstandort könnte der Staat, der etwa auf der Höhe von Griechenland liegt, in Zukunft interessant sein. In einigen Regionen scheint die Sonne 3.200 Stunden pro Jahr – und damit doppelt so viel wie in Deutschland. Insgesamt könnten im Land Solarparks mit 23 GW Leistung entstehen, sagt die Regierung. Eine Autostunde von Baku entfernt, mitten in der Steppe, führt sie vor, wie die Zukunft aussehen soll: Hier glitzern seit vergangenem Jahr die 570.000 Photovoltaik-Module des Solarparks Garadagh in der Sonne. Dank Investitionen aus Abu Dhabi kommt modernste Technik zum Einsatz, von bifazialen Hochleistungsmodulen, die beidseitig Strom erzeugen, bis zu Putzrobotern, die nachts – und ohne Wasser – alles reinigen.

Das größte Potenzial Aserbaidschans für erneuerbare Energien liegt in der Offshore-Windenergie.

John M. Roberts

Atlantic Council

Großer Nachholbedarf bei der Energieeffizienz

Nicht nur bei der Energieerzeugung, sondern auch beim Energieverbrauch will Aserbaidschan zukunftsfähiger werden. Der Aufholbedarf ist groß: Viele Gebäude und Anlagen stammen aus den 1960er-Jahren und erfüllen keine modernen Effizienzstandards. Die Haushalte verbrauchen im Schnitt doppelt so viel Energie wie in der EU, wobei fast 80 Prozent aus fossilen Quellen stammen. Elektroherde haben Seltenheitswert. „Insbesondere die Bereiche Kühlung und Heizung, aber auch Beleuchtung und Baumaterialien weisen enormes Potenzial für den Markteintritt ausländischer Unternehmen auf“, schreibt die Deutsch-Aserbaidschanische Auslandshandelskammer in einer Studie. Neben technischen Lösungen sei auch das Beratungs- und Planungs-Knowhow zum Thema Energieeffizienz westlicher Fachleute gefragt, so die AHK.

Die Energieinfrastruktur ist ebenfalls modernisierungsbedürftig. Obwohl die Gesamtverluste im Stromnetz in den vergangenen Jahren schon verringert werden konnten, liegen sie noch bei elf Prozent und damit doppelt so hoch wie in Deutschland. Da Aserbaidschan keine nennenswerte eigene Elektroindustrie hat, ist man auf ausländische Zulieferer angewiesen. Alles vom Transformator bis zu hin zu intelligenten Stromzählern muss importiert werden. Und die Anbindung zahlloser Windkraftanlagen und Solarparks dürfte die Nachfrage nach Netztechnik in den kommenden Jahren weiter anheizen.

Für die deutsche Elektro- und Digitalindustrie lief der Export nach Aserbaidschan zuletzt gut: Zwischen 2022 und 2023 stieg der Wert der ausgeführten Güter von 30 auf 45 Millionen Euro. Dennoch bleibt das Land ein problematischer Investitionsstandort – wegen der weitverbreiteten Korruption, der schwierigen Menschenrechtslage und des schwelenden Konflikts mit dem Nachbarland Armenien.

 

Text Constantin Gillies | Illustration shutterstock/ Evegeniyqw, shutterstock/ Rustamil Photos, shutterstock/ Golden Sikorka

 

Dieser Artikel ist Teil der Ausgabe 2.2024, die am 14. Oktober 2024 erscheint ist.



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