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ampere 2.2024
Grenzüberschreitung
Der Staat in Vorderasien ist Gastgeber des kommenden UN-Klimagipfels, gleichzeitig entfallen 90 Prozent der Exporte des Landes auf Öl und Gas. Wie passt das zusammen? Von der Elektrifizierung eines fossilen Champions.
Ein 1.000 Kilometer langes Starkstromkabel am Meeresboden – das wäre Weltrekord. Verlegt werden soll die Leitung quer durchs Schwarze Meer, von der georgischen zur rumänischen Küste. Das jedenfalls planen Aserbaidschan, Georgien, Ungarn und Rumänien. Vor zwei Jahren unterzeichneten die Länder, unterstützt von der EU, ein Abkommen zum Bau der Trasse. Die Mega-Stromtrasse wäre fast 300 Kilometer länger als das bisher längste Unterseekabel zwischen Großbritannien und Norwegen.
Besonders stark macht sich Aserbaidschan für das Projekt, denn die ehemalige Sowjetrepublik will das 500-Kilovolt-Rekordkabel nutzen, um grünen Strom nach Europa zu exportieren. Das gehört zur Energiewende, die sich das Land verordnet hat. Allein die Ausgaben für laufende und geplante Ökostromprojekte summieren sich auf etwa eine Milliarde US-Dollar, sagt Germany Trade & Invest (GTAI), die Außenwirtschaftsagentur des Bundes. Dazu passt, dass Aserbaidschan im November den 29. UN-Klimagipfel ausrichtet.
Weniger passend sind die Dinge, die sich nur 120 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Baku im Kaspischen Meer abspielen. Dort laufen die Bohrplattformen auf Hochtouren – auch während sich die Delegierten im modernen Nationalstadion zum Klimagipfel treffen. Denn noch dreht sich im COP29-Gastgeberland alles um das Schwarze Gold: 480.000 Barrel Öl holt Aserbaidschan laut Internationaler Energieagentur jeden Tag aus dem Boden, ein Fünftel der Fördermenge Kuwaits.
Warum also positioniert sich Aserbaidschan jetzt als Öko-Pionier? „Zwei Drittel der Öl- und Gasexporte gehen in die EU, und wenn Europa umdenkt, muss Aserbaidschan das auch tun“, sagt Viktor Ebel, Experte für die GUS-Region bei GTAI. Daneben verspreche sich die Regierung von ihrem grünen Vorstoß mehr Stabilität bei den Einnahmen. In der Vergangenheit hatte der schwankende Ölpreis immer wieder Investitions- und Bauprojekte verzögert oder lahmgelegt.
Allerdings tut sich das „Land des Feuers“ – so die wörtliche Übersetzung von Aserbaidschan – mit dem Abschied vom buchstäblichen Feuer bislang schwer. Viele Vorhaben verlaufen im Sand, bemängeln Insider. Oft fehlt es an Geld und Fachkompetenz, zudem werden viele ausländische Investoren von der verbreiteten Korruption und der schlechten Menschenrechtslage abgeschreckt. Auch die militärische Offensive Aserbaidschans gegen Armenien im Jahr 2023 und die Aussicht auf weitere Konflikte zwischen den Ländern machen Investitionen zum Risiko. Darum vermuten Beobachter, Aserbaidschan nutze die COP29, um sein Image aufzupolieren.
So verwundert es auch wenig, dass hinter dem Plan vom Stromkabel durchs Schwarze Meer noch Fragezeichen stehen. Bei Unterzeichnung des Kooperationsvertrags hieß es, die Bauarbeiten könnten 2023 starten. Bislang existiert nur eine Machbarkeitsstudie, die den Baubeginn für 2027 avisiert. Aber selbst das sind nur vorläufige Schätzungen. „Solange der Krieg in der Ukraine anhält, tut sich da nichts“, so GTAI-Fachmann Ebel. Landeskenner sind dennoch überzeugt, dass Aserbaidschan auf lange Sicht der Umbau vom Öl- zum Ökostaat gelingt. Beim grünen Strom zum Beispiel werde ein „Kipppunkt von der substanziellen zur massiven Produktion“ kommen, meint der Energieexperte John M. Roberts vom Atlantic Council. „Die Frage ist nicht, ob, sondern wann dies geschehen wird.“
Text Constantin Gillies | Illustration shutterstock/ Evegeniyqw, shutterstock/ Rustamil Photos, shutterstock/ Golden Sikorka
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.2024 am 14. Oktober 2024 erschienen.
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